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Sudan: Wachsende Unruhe mit Forderung nach Volksherrschaft

„Laut sudanesischen Oppositionsgruppen wie der Sudanese Commission for the Defence of Freedoms and Rights sind bei regierungskritischen Protesten in der Hauptstadt Khartum und in mehreren Provinzstädten Hunderte von Demonstranten verletzt und andere massenweise verhaftet worden. Insgesamt seien seit Beginn der Proteste vor zwei Wochen über tausend Oppositionelle festgenommen worden, sagte die Gruppe am Samstag gegenüber Nachrichtenagenturen.

Die Proteste, die sich anfänglich gegen die Teuerung und einschneidende Sparmassnahmen der Regierung gerichtet hatten, erreichten am Freitag einen neuen Höhepunkt. Aktivisten, die vor allem in der Studentenschaft der Hauptstadt angesiedelt sind, riefen zu einem «Ellbogenlecken» auf. Damit spielten sie auf den kürzlich erfolgten Spott des einflussreichen Präsidentenberaters Nafie Alie Nafie an, die Strassenproteste gegen das Regime seien so aussichtslos, wie wenn jemand versuche, seinen Ellbogen zu lecken. Nafie selber kehrte am Samstag aus Algerien zurück, von wo sich Khartum Kredite und Unterstützung im Bestreben erhofft, der Protestwelle den Stachel zu nehmen. Die Inflation liegt bei über 30 Prozent, und nach einer kürzlich angeordneten Streichung von Treibstoffsubventionen hat sich der Benzinpreis innert einer Woche verdoppelt – mit einem entsprechenden Teuerungsschub auf praktisch allen Produkten.

Am heftigsten waren die Freitags-Proteste vor der Moschee der Ansar-Sekte in Omdurman, der Zwillingsstadt Khartums am westlichen Nilufer. Die Sekte steht der National Umma Party des früheren Ministerpräsidenten al-Mahdi nahe. Mahdi sprach selber zu den Protestierenden und versprach, mit anderen Oppositionsparteien eine Alternative zum Regime zu bilden. Laut der in Paris erscheinenden, gewöhnlich gut informierten «Sudan Tribune» zog sich Mahdi jedoch zur Enttäuschung der Anhänger mit dem Hinweis auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Oppositionsfront bald wieder zurück. Auf den Strassen Omdurmans kam es derweil zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Gummigeschosse und Tränengas einsetzte.

Laut den Berichten wird bei den Protesten zunehmend der Ruf nach einem Rücktritt der Regierung laut. Die Protestierenden skandierten Losungen des arabischen Frühlings wie die Forderung nach einer Volksherrschaft, heisst es. Laut der «Sudan Tribune» griff die Bewegung am Freitag auf mindestens zehn Provinzstädte über, darunter Gedaref im Osten, El-Obeid im südlichen Gliedstaat Nord-Kordofan und Medani südöstlich von Khartum. Das Regime hielt sich am Samstag, dem 23. Jahrestag der Machtergreifung al-Bashirs, erstmals mit öffentlichen Feierlichkeiten zurück. Dafür liess sich der Präsidentensprecher Nafie in den staatlichen Medien mit der Verschwörungstheorie vernehmen, hinter den Demonstrationen stünden der Südsudan und amerikanische zionistische Organisationen.“

Quelle:

Massenverhaftungen im Sudan nach Protesten. Neue Zürcher Zeitung, Nr. 152 vom 03.07.12, S. 4

teilweise zitiert

http://www.nzz.ch/aktuell/international/massenverhaftungen-im-sudan-nach-protesten-1.17307643