Aus Afrika stammende Tagelöhner revoltierten in der Nacht auf den Freitag, dem 8. Januar 2010, in der süditalienischen Kleinstadt Rosarno gegen rassistische Ausbeutung und Angriffe.
In der von Agrarplantagen umgebenen und 16.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt in Kalabrien arbeiten zur Zitrusfrucht-Ernte im Winter etwa 2.000 bis 3.000 Tagelöhner, vor allem aus Nordafrika, dem Sudan, Togo, Ghana, Nigeria und dem Senegal, mit und die Meisten ohne Papiere.
Auslöser des Aufstands waren aus einem fahrende Auto heraus abgegebene Schrotflinten-Schüsse auf zwei Erntearbeiter aus Marokko und Togo, die auf dem Weg von der Arbeit zu ihrer Unterkunft waren und durch die Schüsse schwer verletzt wurden.
Daraufhin blockierten etwa 120 Tagelöhner eine Hauptverbindungsstraße in Rosarno, anschließend zog eine auf 200 Personen angewachsene Gruppe in das Zentrum der Stadt. Dort stürzten sie Autos um, setzten Autos und Müllcontainer in Brand, zerschlugen Schaufensterscheiben oder stiegen auf Balkone und schmissen Blumenkübel herab. Den Versuch der herbeigeeilten Polizeikräfte, sie zu stoppen, beantworteten sie mit einer Straßenschlacht.
Am nächsten Morgen gingen die Proteste weiter: mehrere hundert demonstrierende Tagelöhner verlangten ein Gespräch mit dem Präfekten. Sie skandierten „Wir sind keine Tiere!“ und warfen der italienischen Bevölkerung Rassismus vor.
Zugleich konstituierte sich ein „Bürgerkomitee“ von Einheimischen, besetzte das Rathaus und forderte, alle Schwarzen sollten aus Rosarno verschwinden. Ein Mob von hauptsächlich Jugendlichen formierte sich und machte sich mit Knüppeln, Eisenstangen und Schusswaffen bewaffnet daran, „Neger“ (O-Ton) zu jagen. Dabei versuchten einige, gezielt Wanderarbeiter mit dem Auto anzufahren. Andere machten sich mit Benzinkanistern auf den Weg, um deren Unterkünfte abzubrennen; ein kleineres abbruchreifes Gehöft wurde in Flammen gesetzt.
Laut Polizeibericht wurden am Ende dieser pogromartigen Hetzjagd 31verletzte Wanderarbeiter gezählt, wobei fünf von ihnen stationär behandelt werden mussten.
Der Mob erreichte sein Ziel: noch am selben Abend beschloss das italienische Innenministerium, sämtliche Wanderarbeiter aus Rosarno weg zu bringen. Einheimische feierten dies an den von ihnen errichteten Straßensperren als Erfolg.
Unter dem Applaus von EinwohnerInnen Rosarnos verbrachten Polizei und Carabinieri, die inzwischen massiv aufgefahren waren, am darauf folgenden Samstag 1.125 Erntearbeiter in zwei (Flüchtlings-)Auffanglager in Crotone und Bari. Etwa 200 verließen die Stadt auf eigene Faust, mehrere hundert Tagelöhner bestanden jedoch darauf , zu bleiben.
Derweil demonstrierten in Rom mehrere hundert Leute gegen das Pogrom und verlangten den Rücktritt des Innenministers Maroni von der rassistischen Lega Nord, der am Freitag erklärt hatte, die Vorfälle in Rosarno seien das Ergebnis eines zu toleranten Umgangs mit Immigranten.
Die Tagelöhner von Rosarno, wo gerade von der EU subventionierte Orangen geerntet wurden, gehören zu dem Heer der Landarbeiter ohne Papiere in Italien, deren Zahl allein für Süd-Italien auf 20.000 geschätzt wird. Sie erhalten für 12 bis 14 Stunden Schwerstarbeit Löhne von 20 bis 25 Euro am Tag. Ansonsten bleiben sie sich selbst überlassen: Unterkünfte gibt es nicht, sie müssen in Baracken oder verlassenen Fabrikgebäuden hausen, ohne Strom und sanitäre Einrichtungen. So waren in Rosarno fast alle Wanderarbeiter in zwei heruntergekommenen ehemaligen Lagergebäuden untergebracht. In „Iglu“-Zelten, auf Pappe oder alten Matratzen schliefen sie dort. Für die mehreren hundert Männer gab es nur drei chemische Toiletten. In die Gebäude regnete es herein, gekocht wurde auf offenen Feuerstellen. Hinzu kamen alltägliche rassistische Anfeindungen. Schon Ende 2008 war in der Gegend ein Erntearbeiter aus Cote d’Ivoir durch Schüsse schwer verletzt worden. Mehr als 50.000 ArbeiterInnen mit und ohne Papiere sollen in Italien unter ähnlichen Verhältnissen wie in Rosarno leben.
In Kalabrien werden die Landwirtschaft und der dazu gehörige Arbeitsmarkt von der Mafia „’Ndrangheta“ kontrolliert. Sie kassiert von den Tagelöhnern etwa ein Viertel des Tageslohnes für die Arbeitsvermittlung und für den Transport zum Einsatzort.
Schon lange versuchen die Wanderarbeiter, sich gegen diese Zusatzabgaben zu wehren. Die Schüsse auf die Tagelöhner wurden höchstwahrscheinlich von ‚Ndrangheta-Angehörigen abgegeben, als Strafaktion und zur Einschüchterung gegen die Weigerung, dieses „Schutzgeld“ zu zahlen. Ob, wie kolportiert, das Pogrom und die Wegschaff-Aktion der Polizei von der ‚Ndrangheta initiert wurde, ist nicht sicher.
Die Revolte der Tagelöhner von Rosarno wurde von der Zeitung der katholischen Bischöfe als „Sklavenaufstand“ bezeichnet und der Anti-Mafia-Schriftsteller und -Journalist Roberto Saviano („Gomorrha“) attestierte den Revoltierenden einen Mut im Kampf gegen die Mafia, den die ItalienerInnen schon verloren hätten.
Der Aufstand hat dazu geführt, dass die rassistische Überausbeutung der legalen und illegalen migrantischen Landarbeiter in Italien zum Thema geworden ist. Vielleicht wird dabei auch deutlich, dass es zu kurz greift, die Verantwortung für skandalöse Verhältnisse wie in Rosarno einfach der Mafia zuzuschreiben, sondern dass die extreme Ausbeutungssituation einerseits und die rassistische Propaganda und Praxis von Leuten wie die von der Lega Nord andererseits komplementäre Strategien ein und derselben offiziellen staatlichen Politik sind.
NZZ 11.01., 12.01.2010; FR 09.01., 13.01.2010; SZ 09.01., 11.01.2010; taz 09.01.2010, 11.01.2010; WAZ 10.01.2010; jungle world 03/2010
weitere Analysen sind in der letzten wildcat-Ausgabe Frühjahr 2010, Nr.86 nachzulesen