Eine Wanderausstellung zu einem „vergessenen Kapitel der Geschichte“
Wann begann der zweite Weltkrieg und wie viele Zivilist_innen starben? Während die erste Antwort für die meisten Leser_innen zum Standardwissen zu gehören scheint – am 1. September 1939 überfiel die Deutsche Wehrmacht Polen – ist die Antwort auf die zweite Frage schon kniffliger. Die Enzyklopädie des Nationalsozialismus schreibt von etwa 55 Millionen Toten, „davon allein 20-30 Millionen Zivilisten“1. Auch Wikipedia spricht von ungefähr 50 bis 55 Millionen Toten, davon rund die Hälfte Zivilist_innen, 10 Millionen Zivilist_innen starben in China, eine Halbe Millionen in Japan. Weitere Tote Zivilpersonen hatte die „Dritte Welt“2 laut Wikipedia nicht zu beklagen3.
Ganz andere Antworten gibt die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“: In Afrika begann der Zweite Weltkrieg bereits 1935 mit dem Krieg um Äthiopien (Soldaten aus 17 Ländern und 3 Kontinenten waren daran beteiligt) und auch der japanische Angriff auf China war bereits 1937. „Weite Teile der Dritten Welt – von der lateinamerikanischen Küste über Nordafrika und den Nahen Osten bis nach Indien, Südostasien und Ozeanien – dienten auch als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet zurück. Allein in China forderte der Krieg mehr Opfer als in Deutschland, Italien und Japan zusammen, und bei der Befreiung der philippinischen Hauptstadt Manila von den japanischen Besatzern kamen mehr Zivilisten ums Leben (100.000) als durch die alliierten Bombardements in Berlin, Dresden oder Köln.“ Die Mehrheit der Toten im Zweiten Weltkrieg, so die Ausstellungsmacher_innen, waren Menschen aus der „Dritten Welt“.
Als die Achsenmächte 1945 kapitulierten, war der Krieg in vielen Ländern noch lange nicht zu Ende. Am 8. Mai 1945, der in Frankreich bis heute als „Jahrestag der Befreiung“ gefeiert wird, massakrierten französische Truppen in Algerien zehntausende Demonstrant_innen, die für die Unabhängigkeit demonstrierten. In China, Vietnam und auf den Philippinen ging der Weltkrieg nahtlos in jahrelange antiimperialistische Kriege über, und auch der Koreakrieg (1950-1953) war direkte Folge des Zweiten Weltkriegs.
Die Ausstellung zeigt auf 96 Tafeln – teilweise sehr überraschende – Informationen zum Thema. Sie beginnt mit einer übergroßen Weltkarte, in der die wichtigsten Ereignisse verzeichnet sind. Dann wird in drei ähnlich gewichteten Abteilungen das Kriegsgeschehen in Afrika, Asien und Ozeanien dokumentiert, wobei pro Kontinent verschiedene inhaltliche Schwerpunkte behandelt werden. Zusätzlich gibt es regionale Tafeln zu Südamerika und der Karibik.
Auch die Judenverfolgung außerhalb Europas (3 Tafeln) und mit den Achsenmächten kollaborierende bzw. sympathisierende Politiker aus der „Dritten Welt“ (12 Tafeln) werden vorgestellt. Zwischendurch gibt es einige Hörstationen und zwei Kurzfilme werden in Endlosschleife gezeigt.
Die Darstellung verdeutlicht, welch instrumentelles Verhältnis ALLE Krieg führenden Parteien zu Land, Zivilbevölkerung und ihren eigenen Soldaten in der „Dritten Welt“ hatten.
Die zentrale These der Ausstellung ist: „Ohne den Beitrag der Kolonialisierten hätte der Weltkrieg einen anderen Verlauf genommen und die Befreiung der Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtwahn wäre noch schwieriger und langwieriger gewesen.“ Millionen Soldaten aus der „Dritten Welt“ leisteten bis 1945 für die Krieg führenden Kolonialmächte Militär- und Arbeitsdienste – zum Teil freiwillig und aus antifaschistischem Bewusstsein, zum größeren Teil zwangsrekrutiert.
Doch nicht alle kämpften, um die Welt von Nationalsozialismus, Faschismus und japanischem Imperialismus zu befreien, andere kämpften für Deutschland, Japan oder Vichy-Frankreich. Nicht wenige kämpften auf beiden Seiten. In der herkömmlichen Geschichtsschreibung tauchen sie ALLE nicht auf.
In der Abteilung zu Afrika, wird unter anderem die Geschichte der Tirailleurs Senegalais4 thematisiert. Ende 1944 kehrten sie von den europäischen Schlachtfeldern zurück. Im Camp de Thiaroye, in einem Vorort von Dakar, sollten sie auf die Abreise in ihre jeweiligen Länder warten. Die französischen Kolonialoffiziere verweigerten ihnen die Auszahlung ihres restlichen Solds sowie die Abfindungen und Entlassungsprämien, die ihnen in Europa versprochen worden waren. Als die Afrikaner revoltierten, wurden sie niedergeschossen. Die genaue Zahl der Toten kennt niemand, nach offiziellen Angaben wurden zwei Dutzend getötet und 34 verletzt. Nach den Gräbern auf dem Soldatenfriedhof von Thiaroye zu schließen, könnten es bis zu 300 gewesen sein.
In der Abteilung zu Asien dominieren die Themen Zwangsarbeit und Zwangsprostitution. Außerdem lernen wir hier Remedios Gomez-Paraisa kennen, die einzige Kommandantin der anti-japanischen Volksbefreiungsarmee auf den Philippinen. In der Abteilung zu Ozeaniens ist die bis heute anhaltende Militarisierung und ökologische Zerstörung der Region durch den Krieg das zentrale Thema.
Diese Wanderausstellung hat kontroverse Diskussionen ausgelöst. Zwei Wochen vor der geplanten Premiere der Ausstellung in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen sagte die Werkstatt-Leiterin Philippa Ebéné die Ausstellung ab, weil sie „entgegen ihrer ursprünglichen Konzeption“ nun auch Nazi-Kollaborateure porträtiere. Ebéné wollte, dass in der Ausstellung die Beiträge von Schwarzen Menschen und „People of Color“ im Widerstandskampf gegen den Nationalsozialismus gewürdigt werden sollten. Sie sah den Charakter einer „Hommage an die People of Color“, denen die weiße Mehrheitsgesellschaft schlicht einmal „Danke“ zu sagen hätte, als nicht mehr gewahrt an und verlangte die Entfernung der Ausstellungstafeln, die die Kollaborateure und Sympathisanten der faschistischen Achsenmächte zeigen, welche im Krieg an deren Seite kämpften – von Nordafrika und Palästina über den Irak und Indien bis nach Thailand und Indonesien5.
„Episoden wie die des ‚Mufti von Jerusalem‘ sollten selbstverständlich öffentlich behandelt werden, jedoch nicht in einem Kontext, der vorgibt, den Widerstand zu beleuchten“ schreibt . „der braune mob e.V“ dazu6. Die in einem Atemzug vorgenommene Assoziation von Widerstands-Held_innen und Opfern des Nationalsozialismus mit dessen Kollaborateuren durch die Konzipierenden dieser Ausstellung sei willkürlich und gründe augenscheinlich in der Annahme, dass Menschen, die nichtweiß sind, lediglich einer einzigen und nicht weiter zu differenzierenden Gruppe zuzuordnen sind7.
Die Ausstellungsmacher_innen von recherche international seien darüber informiert gewesen, „dass wir an einer Gedenkveranstaltung interessiert sind, eine klassische >gute-Eingeborene-schlechte-Eingeborene-Ausstellung< (mit sämtlichen damit einhergehenden eurozentrischen und paternalistischen Konnotationen) jedoch ablehnen – das war Bedingung der Zusammenarbeit”, betonte Ebéné. Die Ausstellung, die „als Hommage für Befreier und Opfer abgesprochen“ (Migrationsrat Berlin Brandenburg) war, entpuppte sich in ihren Augen als unakzeptable Gleichstellung von Befreiern vom Nationalsozialismus und Kollaborateuren mit dem NS-Regime.
recherche international argumentiert dagegen, dass die Kapitel der Ausstellung seit Anfang 2009 fest gestanden hätten und im Mai 2009 auf einer vorbereitenden Veranstaltung in Berlin detailliert mit genauer Gliederung und Mustern von Ausstellungstafeln vorgestellt worden seien – in Anwesenheit von Ebéné. „Die Aussteller überreichten ihr bei dieser Gelegenheit auch das von ihnen verfasste Schwerpunktheft der Zeitschrift iz3w zum Thema Kollaboration mit einem ausführlichen Beitrag über den Nahen Osten und dem Hinweis, dass die darin beschriebenen historischen Fakten auch in der Ausstellung präsentiert würden.“ Der Ausstellungskurator sah in dem Ultimatum kurz vor Ausstellungseröffnung einen Akt der Zensur, dem sich zu unterwerfen er nicht bereit war. Ausstellung und Begleitprogramm wurden deshalb statt in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln in den Uferhallen im Wedding präsentiert.
Der inhaltliche Kritik geht aber tiefer: So kritisiert Maureen Maisha Eggers, dass die Ausstellung die Thematisierung der rassistischen Logik der Einbindung und Vereinnahmung kolonialisierter Bevölkerungen in einem Krieg vermeide, „der ihnen nichts außer massiven Verlusten versprach“. Stattdessen stelle die Ausstellung lediglich unsortiert zur Schau, dass „ People of Color“ auf unterschiedlicher Weise beim Zweiten Weltkrieg mitmachten, manche als Opfer und eben manche auch als Kollaborateure.
Auch Else Nganana bemängelt, dass Kolonialismus und Rassismus nicht in angemessener Weise als Grundlage der Verhältnisse, in denen der Zweite Weltkrieg in der „Dritten Welt“ ausgefochten wurde, dargestellt wird. In der Ausstellung werde weder thematisiert, dass Kollaboration unter kolonialen Bedingungen eine andere Bedeutung hat als Kollaboration von Gesellschaften und (weißen) Menschen, z.B. in Norwegen oder Dänemark, noch dass die Kollaborateure, die in der Ausstellung auftauchen, sich im kolonialisierten Kontext bewegten.
Else Nganana und Louise behaupten sogar, dass die Ausstellung, in auffälliger Weise den Regeln einer kolonialen Inszenierung folgen würde. „Unkritisch reproduzierten die Projektverantwortlichen kolonialrassistische Bilder- und Begriffswelten und lehnten sich in ihrer Dramatisierung stark an Völkerschauen und Kolonial-Schmonzetten der 30er und 40er Jahre an“ (Louise).
Laut Louise folgt eine koloniale Inszenierung klaren, überprüfbaren Regeln:
1. Ein (in der Regel) weißer Mann wird als Aufklärer, Entdecker und Retter „unbekannter“ Völker und Welten inszeniert.
2. Die vom Helden „entdeckten“ Bewohner_innen der bislang „unentdeckten“, „vergessenen“ neuen Welten werden in „gute“ und „schlechte Eingeborene“ unterteilt, die aber bestenfalls als Nebenfiguren auftreten.
3. In kolonialen Inszenierungen werden die Ausgestellten „rassisch“ hierarchisiert: Subsahara-Afrikaner und Aboriginies, ganz unten auf der Leiter, werden als handlungsunfähig dargestellt. Asiatische Männer hingegen sollen „undurchsichtig wirken, alle gleich aussehen und gerne Mal en masse sterben“. Die Menschen aus dem Nahen Osten verfügen zwar über Schrift, Architektur und gar einen Gott, der dem abendländischen in Vielem ähnelt, doch haben diese Rückständigen nie das Licht der Aufklärung gesehen. Im bestem Falle verprassen sie Ölgelder, im Schlechtesten ermorden sie „Ungläubige“.
4. Die korrekte Wiedergabe von Schauplätzen, Jahreszahlen, Ereignissen, Namen von Nichtweißen etc. ist ohne Bedeutung für weiße Produzenten und Rezipienten kolonialer Inszenierungen.
Nach Louises Kriterien erfüllt die Ausstellung unseres Erachtens nicht die Bedingungen für eine koloniale Inszenierung. Abgesehen davon, dass der Untertitel der Ausstellung „…ein vergessenes Kapitel der Geschichte“ Assoziationen an koloniale Inszenierungen auslösen kann, „denn ‚vergessen‘ ist der Pazifikkrieg, der von 1937 bis 1945 währte und rund 30 Mio. Tote forderte, weder bei den 1,3 Milliarden Chinesen, noch sonst irgendwo im Pazifikraum – oder gar in der englischsprachigen Welt“ (Nganana).
Ansonsten ist es schon ziemlich dreist, den Ausstellungsmacher_innen (!) zu unterstellen, ein weißer Mann würde als Aufklärer, Entdecker und Retter „unbekannter“ Völker und Welten inszeniert. recherche international versteht sich als Übersetzer und Vermittler der vergessenen Befreier und Zeitzeugen. Deshalb sind die Hörstationen mit Original-Aufnahmen von Zeitzeugen aus den verschiedensten Ländern und Kontinenten ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung. Sie wollten keine Geschichtsschreibung aus rein weißer, europäischer Sicht und haben in den vielen Ländern einheimische Historiker_innen zu Rate gezogen.
„Die ‚guten Eingeborenen‘ sind in aller Regel gutmütig und kooperativ, verfügen allerdings weder über eigene Biografien noch über eigene Stimmen. D. h., sie brauchen sich in aller Regel nicht selbst äußern – das übernimmt der verantwortungsvolle Held für sie“ schreibt Louise.
In der Ausstellung, vor allem bei den Hörstationen, haben sie sehr wohl eine Stimme. Warum Louise sie nicht gehört hat, bleibt unklar. Es ist allerdings zutreffend, dass die Ausstellung etwas holzschnittartig in „Gute“ und „Böse“ unterscheidet und die Widersprüchlichkeiten der Personen nicht wirklich raus kommen. Darin aber lediglich eine Unterteilung in „gute“ und „schlechte Eingeborene“ zu sehen, die bestenfalls als Nebenfiguren auftreten, wird der Ausstellung in keiner Weise gerecht.
Die Frage der rassistischen Hierarchisierung wird bei Louise nicht weiter ausgeführt und bleibt unklar. Stattdessen kritisiert sie einzelne Punkte der Ausstellung, ohne auf diese Hierarchisierungen einzugehen.
Bei der Wiedergabe von Schauplätzen, Jahreszahlen, Ereignissen, Namen sind den Ausstellungsmacher_innen vielleicht einige Fehler unterlaufen. Louise kritisiert, dass der Name von Aun San, dem Vater der international bekannten Friedensnobelpreisträgerin und burmesischen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi falsch geschrieben wird (Aung Sang – merke: Tochter mit und Vater ohne „g“), ein Foto falsch beschriftet wurde und der Zwischenfall an der Marco Polo Brücke gänzlich falsch beschrieben wird. Das sind sicherlich drei ärgerliche Fehler, die Ausstellung deswegen in Bausch und Bogen zu verurteilen, ist nicht stimmig, sie mit einer glatten „sechs“ („Thema verfehlt“) abzuwatschen ist unangemessen. Das gilt auch für Louises „Gut gemeint und voll daneben“.
Auf den ersten Blick wirkt die Vehemenz der – durchaus berechtigten – Kritiken etwas übertrieben, macht doch der Teil zur Kollaboration lediglich ein Achtel des Umfangs der Ausstellung aus. Dabei verweisen Eggers, Nganana und Louise auf das Hauptproblem der Ausstellung, ohne darauf überhaupt einzugehen: Die etwas antiquierte Sichtweise von Krieg. Krieg – so wie er in der Ausstellung dargestellt wird – ist, wo Soldaten sich gegenseitig totschießen, die Zivilbevölkerung massakrieren und Frauen vergewaltigen.
Krieg ist viel mehr. Krieg ist ein gesellschaftliches Ereignis, das Täter und Traumatisierte produziert, wo Männer schießen und vergewaltigen lernen, wo Reichtümer zerstört und angehäuft werden, wo neue Machtverhältnisse entstehen und alte bröckeln oder zugrunde gehen. Krieg ist auch, wo Frauen im zunehmend Männer-freien Hinterland neue Freiräume erringen, die die Grundlage für neue Auseinandersetzungen bilden, wenn die Männer zurück kommen. Krieg ist aggressive kapitalistische Modernisierung. Krieg ist schöpferische Zerstörung und Vater der Nation!
Der Zweite Weltkrieg veränderte die Gesellschaften in der „Dritten Welt“ radikal und nachhaltig. Zwar stellten die von der Front zurückkommenden afrikanischen Soldaten mit Entsetzen fest, „dass sie, zu Hause angekommen, erneut den Status von Kolonialisierten annehmen mussten und sich jedem Weißen zu unterwerfen hatten“8. Doch der Krieg hatte den Mythos der Überlegenheit der Weißen „Rasse“ zerbrochen. Die Heimkehrenden hatten die Techniken des Weißen Mannes gelernt, z.B. Auto fahren, Befehle geben, tot schießen. Gleichzeitig hatten die Frauen neue Freiräume bekommen. Alles zusammen lieferte den Nährboden für nationale Unabhängigkeitsbewegungen, die Niederlage des Kolonialismus und die Einhegung weiblicher Ansprüche in nationalstaatliche Konzepte in den Jahren nach dem Krieg – kein Wort davon in der Ausstellung.
In diesem Zusammenhang ist interessant, wie Frauen dargestellt werden: In Afrika auf keiner einzigen Schautafel und in Asien vor allem als Zwangsprostituierte. Und eben Remedios Gomez-Paraisa, die eine Kommandantin der anti-japanischen Volksbefreiungsarmee. Über das Leben all der anderen Frauen der „Dritten Welt“ im Zweiten Weltkrieg erfahren wir nichts. Ein „vergessenes Kapitel der Geschichte“! (von den Ausstellungsmacher_innen, nicht von den Frauen und ihren Töchtern)
Der gesamte Zusammenhang zwischen Kolonialismus, Kollaboration und nationaler Befreiung wird ausgeblendet. Die Kollaborateure, die in der Ausstellung vorgestellt werden, sind allesamt Vertreter von antikolonialen und nationalen Befreiungskonzepten. Das wird nicht benannt. So kann nicht deutlich werden, welch enger Zusammenhang zwischen Kolonialismus, Kollaboration und nationaler Befreiung besteht.
In der Ausstellung wird zum Beispiel der ägyptische König Faruk zitiert, er sei „von starker Bewunderung für (den) Führer und Hochachtung vor dem deutschen Volk erfüllt“, dessen Sieg über England er sehnlichst herbeiwünsche. Dass er auf die Niederlage der Kolonialmacht setzt – und dabei auch bereit ist, mit dem Teufel zu paktieren (wobei nicht deutlich wird, ob der den Teufel auch für den Teufel hält – oder nicht) ist direkt aus seinem Konzept von Nationaler Befreiung herzuleiten. Er imaginiert sich als neuer Herrscher. Wen interessieren die Interessen ägyptischen Frauen oder europäischer Juden, wenn es ums „große Ganze“ geht? Und wenn es opportun ist, dem Feind meines Feindes auf diplomatischen Parkett mit etwas blabla zu schmeicheln, ist das große Politik – egal welcher politischer Provenienz. Ob Faruk die Nazis und die Deutschen wirklich bewunderte, ist damit weder bewiesen noch widerlegt.
Trotz dieser Schwachstellen ist den Macher_innen ist ein dickes Lob auszusprechen. Sie haben sich jahrelang mit dem Thema ausführlich befasst und haben die Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg um ein wichtiges Kapitel erweitert. Denn eins ist unbestritten: „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ war ein von der deutschen Linken „vergessenes Kapitel der Geschichte“. Dass dem nicht mehr so ist, ist auf die unermüdliche Arbeit des Rheinischen JournalistInnenbüros und recherche international zurückzuführen. Dass sie als deutsche PionierInnen nicht alles richtig machen, ist banal.
Warum auch immer, aber die Kommunikation zwischen der Werkstatt der Kulturen und recherche international war offensichtlich katastrophal und es wurde munter aneinander vorbei geplant. Wenn angeblich bereits der Titel der nun kontrovers diskutierten Ausstellung deutlich mache, „dass bei deren Inhalten mit Stigmatisierungen und Diskriminierungen zu rechnen ist“9, so bleibt die Frage, wie die Idee einer „Hommage für Schwarze Veteranen des 2. Weltkrieges“ überhaupt aufgekommen ist. Wer das Buch und die iz3w-Sondernummer kennt, wäre sicherlich nicht auf diese Idee gekommen. Wenn da zwei nicht zusammen kommen, ist es wahrscheinlich besser, dass es an einem anderen Ort gelaufen ist, auch wenn es für recherche international ärgerlich, arbeitsaufwendig und teuer war.
Wenn allerdings bedauert wird, dass es im Jahre 2009 in Deutschland offensichtlich immer noch nicht möglich sei, den Widerstands-Beiträgen von People of Color während des Zweiten Weltkrieges in würdiger und vor allem in notwendig differenzierter Weise zu gedenken und beklagt wird, dass Schwarze Menschen und People of Color ihre WiderstandskämpferInnen nicht in angemessenem selbst bestimmtem Rahmen abbilden könnten10, wird der Punkt verfehlt: es gibt sicherlich genug Gründe, warum Schwarze Menschen und People of Color ihre Widerstandskämpfer_innen nicht in angemessenem selbst bestimmtem Rahmen abbilden. Mit recherche international hat das aber wenig zu tun. Die wollen lediglich IHRE Ausstellung zeigen. Das sollte mensch akzeptieren.
Ein Besuch der Ausstellung ist allemal anregend für weitergehende Diskussionen und lohnt sich!
izindaba
Die nächsten Termine der Ausstellung:
2010
8. Mai bis 8. August: Osnabrück (Erich Maria Remarque-Zentrum)
Mitte August bis Mitte September: Düsseldorf (Eine Welt Forum)
16. September bis 14. November: Köln (NS-Dokumentations-Zentrum, FilmInitiativ)
2011
21. Februar bis 27. März: Luzern (Historisches Museum Luzern – Depot, Universität)
Umfangreiche Informationen zur Ausstellung gibt es auf der Internetseite:
Literatur:
Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e.V (Hg.).:
„Unsere Opfer zählen nicht“ – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg
Verlag Assoziation A. Hamburg/Berlin 2005 | Zweite Auflage zur Ausstellung 2009 | ISBN 3-935936-26-5 | 444 Seiten | 415 Fotos | 29,50 Euro.
Materialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit / Rheinisches JournalistInnenbüro/Recherche International e.V. (Hg.):
Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg: Unterrichtsmaterialien zu einem vergessenen Kapitel der Geschichte
Köln 2008. 224 Seiten. 200 Fotos. Mit beiliegender CD. ISBN 978-3-9812168-0-6.
12 Euro bzw. 15 Euro (mit Versand) (kann auf „www.3www2.de“ als pdf-datei runtergeladen werden)
Themenschwerpunkt in der Ausgabe Mai/Juni 2009 der Zeitschrift Blätter des iz3w (Nr. 312)
Nazikollaborateure in der Dritten Welt und ihre deutschen Apologeten: Treueschwüre für die Nazis – Kollaborateure in der Dritten Welt (von Karl Rössel)
Bestelladresse: Aktion Dritte Welt e.V. – Informationszentrum 3. welt, Postfach 5328, Kronenstr. 16a, D-79020 Freiburg i.Br.,
Tel.: 0761–74003 | E-Mail: info@iz3w.org | Internet: www.iz3w.org | Preis: 5,30 Euro
Scheck, Raffael:
Hitlers afrikanische Opfer: Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten
Aus dem Englischen von Georg Felix Harsch
Verlag Assoziation A. Hamburg/Berlin 2009 | ISBN 978-3-935936-69-9 | 200 Seiten | 20.00 €
1Bertram, Thomas: Weltkrieg 1939-1945; in: Benz, Wolfgang/ Graml, Hermann/ Weiß, Hermann: Enzyklopädie des Nationalsozialismus; Stuttgart 1998³; S. 322
2Zum Begriff „Dritte Welt“ gibt es im Epilog der Ausstellung eine eigene Tafeln. Die AusstellungsmacherInnen verwenden den Begriff analog zum „3. Stand“ in der französischen Revolution – und weil sie einen besseren nicht gefunden haben.
Ohne auf die Auseinandersetzung an dieser Stelle weiter eingehen zu wollen, verwenden wir im Folgendn den Begriff in Anführungszeichen.
3Wikipedia bezieht sich auf:
F. W. Putzger: Historischer Weltatlas, Velhagen & Klasing, Bielefeld Berlin Hannover, 1969
W. van Mourik: Bilanz des Krieges, Lekturama-Rotterdam, 1978
4Senegalschützen – so wurden die afrikanischen Infanteristen in der französischen Armee genannt, sie kamen aus dem Senegal oder auch nicht
5Ebéné bezog sich gegenüber izindaba auf folgende Kommentare und Beiträge, „die im Wesentlichen das Unbehagen widerspiegeln das auch die Werkstatt der Kulturen dazu veranlasste die von Karl Rössel kuratierte Ausstellung abzulehnen“:
Nganana, Else; Thema verfehlt; http://www.xnewspress.blogspot.com/
Louise; 3WW2 – Kleine Anleitung zur kolonialen Inszenierung; http://die-dritte-welt-im-zweiten-weltkrieg.blogspot.com/
Eggers , Maureen Maisha: Ein resümierender Kurzkommentar zum Abschluss der Premiere der („Wander“)Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg!!! ; http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2009/10/Res%C3%BCmierender_Kurzkommentar_Ausstellung_02_10_09_Adefra.pdf
Die Internetseite http://blog.derbraunemob.info/?s=dritte+welt, wo die drei Texte (auch) veröffentlicht wurden sowie Stellungnahmen von der braune mob e.V., Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Migrationsrat Berlin Brandenburg
6der braune mob e.V.; http://blog.derbraunemob.info/?s=dritte+welt Der Verein wurde von Schwarzen Menschen mit dem Ziel gegründet, auf diskriminierende/rassistische Darstellungen Schwarzer Menschen in Medien und Öffentlichkeit aufmerksam zu machen und diese zu bekämpfen.
7Wenig seriös wirkt die Kritik von René Wildangel vom Zentrum Moderner Orient (ZMO), die These von der massenhaften Kollaboration beruhe auf zweifelhaften Quellen.
Das ZMO wird in der Ausstellung namentlich kritisiert, weil es die Kollaboration des Großmufti von Jerusalem, el-Husseini, relativiere. Das Zentrum ist nach eigenen Angaben die einzige Forschungseinrichtung Deutschlands, die sich interdisziplinär und in historisch-vergleichender Perspektive mit dem Nahen Osten, Afrika, Süd- und Südostasien befasst. Im Mittelpunkt der Forschung steht die Interaktion überwiegend islamisch geprägter Gesellschaften sowie deren Beziehungen mit den nicht-islamischen Nachbarregionen.
Siehe dazu die Diskussion in den Blättern des iz3w:
Rössel, Karl: Bloß nicht dämonisieren!; Deutsche WissenschaftlerInnen verharmlosen arabische Kriegsverbrechen; Blätter des iz3w Nr. 312; Mai/ Juni 2009; S. 23-28
Wildangel, René: Replik: Auf der Suche nach dem Skandal; Eine Reaktion auf den Themenschwerpunkt „Nazikollaborateure in der Dritten Welt“ ; Blätter des iz3w Nr. 313; Juli/ August 2009; S. 20-23
Rössel, Karl: Debatte: Auf der Suche nach Relativierungen – Eine Antwort auf Réne Wildangels Replik zum Themenschwerpunkt »Nazi-Kollaborateure«; Blätter des iz3w Nr. 313; September/ Oktober 2009; S. 45-46
8Kuma’a Ndumbe III in: Rheinisches JournalistInnenbüro/ Recherche International e.V (Hg.): „Unsere Opfer zählen nicht“ – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg; S. 11
9Siehe: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland; http://blog.derbraunemob.info/?s=dritte+welt
10der braune mob e.V.; http://blog.derbraunemob.info/?s=dritte+welt