Trotz massiver Militärpräsenz vor der Küste Somalias: die Piraterie im indischen Ozean boomt. Doch wer zahlt die Zeche? Lösegeld und Kosten für Sicherheitsmaßnahmen sind sicherlich teuer, doch die Kosten, die asiatische Seeleute, afrikanische Fischer und somalische DurchschnittsbürgerInnen tragen sind wesentlich höher: Preistreiberei, Kriegstreiberei, illegaler Fischfang oder Giftmüllverklappung können ihnen das Leben kosten
Angeblich soll der Aktionsradius der somalischen Piraten sich innerhalb von zwei Jahren von ca. 1,5 Millionen Seemeilen² auf rund 2,5 Millionen Seemeilen² fast verdoppelt haben. Alleine im im vergangenen Jahr wurden laut International Maritime Bureau (IMB) 445 Schiffe mit 4.185 Seeleute von Piraten angegriffen, 1.090 Seeleute wurden als Geiseln genommen, 516 als menschliche Schutzschilde eingesetzt. Jede dritte deutsche Reederei soll bereits Erfahrungen mit Piratenüberfällen haben.
Lösegelder kosten Millionen
Der wirtschaftliche Schaden durch die Piraterie ist schwer zu beziffern, da Lösegeldzahlungen vielfach vertraulich erfolgen. Ein Vertreter der kenianischen Regierung schätzte für 2008 die Lösegeldzahlungen auf etwa 150 Millionen Dollar. Eine Studie von Studie der Denkfabrik Chatham House ging für den selben Zeitraum von 18 bis 30 Millionen Dollar aus (nach IRIN).
Die international tätige Beratungsfirma Geopolicity behauptet in ihrer Studie über die Ökonomie der Piraterie, dass Piraten so auf ein Jahreseinkommen von 33.000 – 79.000 US-$ im Jahr kommen – 150mal soviel wie das somalische Durchschnittseinkommen. Das sind allerdings nicht nachprüfbare Schätzungen. Laut verschiedenen Berichten geben viele Piraten innerhalb weniger Monate ihr ganzes Geld für teure Autos, Drogen und Frauen aus und verprassen den Rest. Andere investieren ihr Geld meist in Kenia oder Somalia und feuern so einen neuen Akkumulationszyklus an.
Es gibt zahlreiche Berichte über umfangreiche Preissteigerungen nach erfolgreicher Piratenangriffe. Leidtragende sind einfache Somalis, die sich das nicht leisten könnten. Angesichts der aktuellen Dürre in Ostafrika für viele Menschen eine tödliche Entwicklung.
Milliarden verdienen andere
Doch das Geld, was die Piraten einstreichen, ist verschwindend wenig gegenüber den Milliarden, die für Militäreinsätze, Versicherungssummen, Schutzmaßnahmen, Repression und Umwege kassiert werden.
In einer Studie behauptet Oceans Beyond Piracy (OBP), Kriegsschiffe und Verwaltung der Militäreinsätze würden zusammen ca. 2 Mrd. US-$ Kosten. Hinzu kommen stetig steigende Versicherungskosten (OBP schätzt den Zuschlag sehr präzise auf jährliche Beträge zwischen 0,4 und 3,2 Mrd. US-$) sowie Kosten aufgrund von Umwegen und für Sicherheitsleute an Bord (zwischen 2,4 und 3 Mrd. US-$ pro Jahr laut OBP). Prozesse und Haft sind mit 31 Mill. US-$ vergleichsweise preiswert.
Die Gesamtkosten für die Piraten im indischen Ozean in 2010 verantwortlich gemacht werden, sollen demnach zwischen 7 und 12 Milliarden US-$ liegen, wovon kaum 1% bei den Piraten landet.
Die menschlichen Kosten der Piraterie
Der Militäreinsatz vor der Küste reduzierte nicht die Zahl der Überfälle. Neben der Ausdehnung des piratischen Aktionsradius führte er vor allem zu einer Eskalation der Gewalt. Alleine im Januar 2011 wurden mindestens 10 Piraten von der Marine ermordet. Erinnert sei auch an die Besatzung eines Schlauchbootes, dass ohne Treibstoff von der russischen Marine auf dem offenen Meer ausgesetzt wurden. Niemand überlebte.
Lange behandelten die somalischen Piraten die Seeleute auf den Schiffen rücksichtsvoll, aber im Rahmen der scharfen Repression haben einige Piraten sich mit der Zeit brutalisiert. Heute kommt es immer mal wieder vor, dass Geiseln geschlagen, misshandelt oder gefoltert werden, einige überleben die Piratenangriffe oder die anschließende Geiselhaft nicht. Weil die meisten Seeleute aus Asien stammen, interessiert das im Westen allerdings wenig.
Krieg gegen die Fischer
Die größten Leidtragenden des Kriegs gegen die Piraten sind somalische Fischer. Sie verlieren häufig nicht nur ihren Lebensstil sondern auch ihr Leben, weil sie direkt von schwimmende Fischfabriken und der internationale Marine angegriffen werden.
Ausländischen Schiffen ist es zwar zur Zeit (nach somalischem Recht) verboten, in den fischreichen somalischen Hoheitsgewässern zu fischen – allerdings wird das Verbot nicht durchgesetzt. Stattdessen rammen die Fischtrawler kleinere Boote und zerstören Netze und Ausrüstung. „Uns wird nicht nur unser Fisch geraubt, sondern auch unser Leben“, sagte Mohamed Abdirahman, ein Mitglied der Bosasso Fischereigenossenschaft in der autonomen Region Puntland der Nachrichtenagentur IRIN. „Anfang dieses Jahres verloren wir fünf Kameraden, nachdem ihr Boot von einem großen Schiff gerammt wurde – und ich kann Ihnen sagen, das war kein Unfall“.
Abdirahman berichtete weiter, dass einige der ausländischen Trawler somalische Fischer mit kochendem Wasser aus Kanonen beschießen. Viele Mitglieder seiner Genossenschaft wagen es nicht mehr, sich weit von der Küste zu entfernen. „Wir bleiben nah an der Küste, vielleicht zwei Meilen, um den Kriegsschiffen und den großen ausländischen Trawler austzuweichen“, sagte er und fügte hinzu, so fangen sie immer weniger Fische.
Wenn sich somalische Seefahrer gegen die Trawler wehren, bringen sie die internationale Marine gegen sich auf, die häufig aus den selben Herkunftsländern stammen.
Da bewaffnete Sicherheitsleute und Marinesoldaten Piraten und Fischer nicht unterscheiden, weil sie alle Somalis für Piraten halten, schießen sie im Zweifelsfall auf beide. Der Sprecher der EU-Mission Atalanta bestreitet das allerdings, denn dort wo sie operiere nähmen sie kaum Fischerboote war.
Fakt ist, dass durch den Schutz der Marine die Verklappung von Giftmüll und die illegale Fischerei, die nach den ersten Piratenüberfällen rapide abnahmen, wieder zunehmen.
Quellen:
Geopolicity Inc; The Economics of Piracy; http://www.geopolicity.com/upload/content/pub_1305229189_regular.pdf, 24-04-2011
Oceans Beyond Piracy; The Human Cost of Somali Piracy; http://oceansbeyondpiracy.org/cost-of-piracy/human-cost-somali-piracy, 2. Juni 2011
International Maritime Bureau (IMB); Piracy and Armed Robbery gainst Ships; Annual Report 1. January – 31 December 2010; January 2011
IRIN; SOMALIA: Fishermen driven from the sea by illegal trawlers; 27 Juni 2010
IRIN; SOMALIA: The hidden Cost of Piracy; 16 Juni 2010