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Südafrika: Die Weltmeisterschaft der sozialen Auseinandersetzungen

Bereits während der Vorbereitungen zur Weltmeisterschaft wurden schlimmste Befürchtungen geäußert: „Der Event wird wahrscheinlich schreckliche Auswirkungen auf Südafrikas Arme und die Arbeiter_innenklasse haben“, schrieb z.B. das anarchosyndikalistische Zabalaza-Kollektiv.

Denn einerseits kam es bereits im Vorfeld der WM angesichts der gigantischen Infrastrukturinvestitionen zu massiven Vertreibungen. Tausende Slumbewohner_innen, Obdachlose und Strassenkinder wurden vertrieben, allein 15.000 Obdachlose und Strassenkinder in Johannesburg. In CapeTown wurde ein Slum mit 10.000 Menschen geräumt, weil die Stadtverwaltung Touristen, die auf der Autobahn N2 fahren, den Anblick der Slumhütten nicht zumuten wollte.

Aber andererseits gab es in den Monaten vor der WM auch die größten Streikwellen seit dem Ende der Apartheid, wie die Schriftstellerin Nadine Gordimer in der FR betonte. Bereits im Juli 2009 kam es mit Streiks in allen WM-Stadien und anderen WM-Bauprojekten zu den größten Arbeitskämpfen, die jemals in der Bauindustrie Südafrikas stattfanden. Die meisten dieser Kämpfe wurden von gewerkschaftlich unorganisierten Arbeitern mit Zeitverträgen begonnen.

Ein Streik der Transportarbeiter konnte noch kurz vor der WM zu einem recht erfolgreichen Ende geführt werden (siehe auch: http://www.izindaba.info/39.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=76&tx_ttnews[backPid]=37&cHash=5e8f07f01a), ein Streik der Angestellten des Staatlichen Elektrizitätskonzern ESKOM lag in der Luft, konnte aber angewendet werden.

Die Gewerkschaften, die hinter der WM-Bewerbung standen, versuchten, das Turnier als strategischen Hebel für nachhaltige Verbesserungen zu nutzen und konnte ein einigen Sektoren (v.a. im Bausektor und in der Sicherheitsindustrie) signifikante Erfolge erzielen. Gleichzeitig wiegelten sie in vielen Fällen ab und übten Druck aus, Streikaktionen so schnell wie möglich abzubrechen.

Anlässlich der massiven Arbeitskämpfe im Vorfeld der WM beschloss das Nationale Arbeitskomitee des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Ende Mai ein Disziplinarverfahren gegen den Generalsekretär des Ge­werkschaftsverbands (COSATU), Zwelinzima Vavi. COSATU und ANC sind mit der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Apartheid in einer Dreier-Allianz verbündet. Vavi ist daher auch einfaches ANC-Mitglied. Dass die ANC-Führung unverblümt einen Bündnis­partner angreift, gab es bisher nicht.

Im unmittelbaren Vorfeld der WM kam es dann im Mai zu heftigen Auseinadersetzungen in Soweto, als die Homeowner’s Association die die Landlosenbewegung LPM in Protea South (Soweto) angriff. Zwei Landlose wurden erschossen, eine Person von einem Mitglied der Homeowner’s Association, die andere von der Polizei. In der folgenden Nacht brannte eine elektrische Umspannstation in Protea South aus und die wohlhabenderen Einwohner_innen saßen im Dunkeln. Daraufhin kam es zu schweren Ausschreitungen gegen die Bewohner_innen der Slumhütten. Wieder wurde eine Person erschossen, eine weitere Person erlitt eine Schussverletzung. Mehrere Personen wurden von der Polizei festgenommen, ausschließlich Bewohner_innen der Slumhütten.

Ebenfalls im Mai wurden an der Grenze zu Zimbabwe zwei Kompanien von Elite-Fallschirmjäger des Militärs stationiert, um die „Flut“ von illegalen Migrant_innen, die anlässlich der WM erwartet wurde, abzufangen.

Angesichts der vielfältigen sozialen Auseinadersetzungen im ganzen Land wurde in den WM Städten für die Dauer der WM das Demonstrationsrecht außer Kraft gesetzt und alle Demonstrationen verboten. Prof. Jane Duncan von der Rhodes-University in Grahamstown (Ostkap) spricht davon, dass während der WM ein „nicht erklärter Ausnahmezustand“ in Kraft gewesen sei.

Gegen die Alltagskriminalität zeigte sich die Justiz unerbittlich. Schnellgerichte sprachen harte Urteile. Z.B. wurde ein 21jähriger in Rustenburg von einem Schnellgericht zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er einen deutschen Fan bestohlen hatte: eine von der FIFA gesponserte Decke, drei Flaschen Bier und ein Regelbuch. Ein anderer Dieb wurde sogar zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er einem Touristen ein Handy geklaut hatte.

Dass die FIFA (vom Sozialforum Durban „THIEFA“ genannt, in Anlehnung an Thief = Dieb) hundert Anwälte beschäftigte die Copyrightverstöße im ganzen Land aufdecken sollten und hauptsächlich kleine Straßenhändler_innen vor Gericht brachten, verbesserte die Stimmung im Land nicht unbedingt. Fahnenverkäufer_innen und die Anbieter_innen von traditionellem Essen durften nicht im direkten Umkreis um die Stadien herum verkaufen. Viele wurden gewaltsam von ihren Verkaufsplätzen vertrieben, wo sie schon seit Jahren stehen. Diese Vertreibungen begannen bereits im Jahr 2008. Trotzdem soll der Verkauf von Fahnen für viele Kleinsthändler_innen ein gutes Geschäft gewesen sein.

Während der WM kam es dann zu einem großen Arbeitskampf, der auch von der Weltpresse Beachtet wurde: Nach dem Spiel BRD gegen Australien in Durban löste die südafrikanische Polizei Proteste von Stadionpersonal und Wachleuten gegen schlechte Bezahlung gewaltsam auf. Ihnen waren 1.500 Rand (ca 150 €) pro Schicht versprochen worden, erhalten hatte sie aber nur 190 Rand. „Wir haben uns beschwert“, berichtete Sydney Zulu der taz. „Als wir protestierten, haben unsere Chefs die Polizei gerufen.“

Fast 500 Stadionmitarbeiter warfen mit Gegenständen aller Art, Bürofenster gingen zu Bruch. Die Polizei trieb die Leute auf die Straße. Dies dauerte eine Stunde, da die Protestierenden sich zunächst weigerten, die Räumlichkeiten des Stadions zu verlassen. Draußen ging der Protest weiter und weitete sich aus. Als die protestierenden Stadionarbeiter Straßensperren zu errichten begannen, lösten die Beamten den Protest gewaltsam auf. Mehrmals wurden Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt, rund 300 Demonstranten stundenlang eingekesselt, nach Männern und Frauen getrennt, und bis zum Morgengrauen festgehalten.

Rich Mkhondo, Sprecher des Nationalen Organisations Komitee der WM, sagte, es handele sich um einen „internen Lohnstreit zwischen der wichtigsten vom Organisationskomitee beauftragten Sicherheitsfirma und einigen der von dieser Firma eingestellten Sicherheitskräften“. Man werde jetzt mit der betroffenen Firma Stallion Gespräche führen, „um eine Wiederholung dieser Situation zu verhindern“. Aber in Lohnbelange mische man sich nicht ein. Stattdessen wurde die Polizei als Streikbrecher eingesetzt, die Spiele mussten ja schließlich weiter gehen (siehe auch: http://www.izindaba.info/39.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=76&tx_ttnews[backPid]=37&cHash=5e8f07f01a).

Angesichts der gespannten sozialen Situation, wurde die Gefahr von rassistischen Ausschreitungen nach der WM an die Wand gemalt. Doch es kam nur zu vereinzelten Zwischenfällen, wohl auch weil die Sicherheitsbehörden, anders als 2009, diesmal schnell und beherzt einschritten.

Unterdem Strich zeigt sich, dass es massive soziale Auseinadersetzungen und Kämpfe vor und während der WM gegeben hat. Nicht alle konnten erfolgreich im Sinne der Armen und der Arbeiter_innenklasse Südafrika beendet werden, doch es waren nicht wenige, die sich im Umfeld der WM bessere Lebensbedingungen erkämpfen konnten. Das Horrorszenario, wie es z.B. von Zabalaza geäußert wurde, bestätigte sich trotz der heftigen Repression nur teilweise. Wie sagte schon der olle Brecht: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren“.

Quellen:

Bbaloyi, Tintswalo/ Johnson, Dominic; Der Aufstand der Stewards; taz 15.06.2010

Chinguno, Crispen; Gewerkschaftliche Organisierung im Umfeld der Fußballweltmeisterschaften 2006 in Deutschland und 2010 in Südafrika; Peropherie 117; Mrz 2010; S. 45-68

clb. Der große Reibach mit der Fahnenpracht; Südafrikanische Straßenhändler verdienen viel Geld mit dem Verkauf chinesischer Flaggen; FAZ 12.06.2010

dpa; Stecker raus bei der Party: Gewerkschaften drohen Regierung mit hartem Arbeitskampf; Frankfurter Rundschau 17.06.2010

Duncan, Jane; The Return of State Repression; www.sacsis.org; 31.05.2010

Fihlani, Pumza; Striking South African World Cup guards wage war, BBC News, Johannesburg; 16 June 2010 20:38 UK

Geyer, Steven; „Man denkt nicht an den Kater danach“; Nadine Gordimer im FR-Interview; FR 8.7.2010

NN.; Harte Strafen; Kölner Stadtanzeiger 28.06.2010

Rigault, Raoul: »Eskalation könnte sich selbst erfüllende Prophezeiung sein«; In Südafrika sind nach der Fußballweltmeisterschaft wieder blutige Übergriffe zu erwarten. Ein Gespräch mit Loren Landau; junge welt 28.06.2010

Selz, Christian; Offener Flügelkampf: Südafrika: ANC droht Gewerkschaftschef mit Disziplinarverfahren; junge welt 02.06.2010

Selz, Christian; Gemischte Aussichten: Südafrika wieder im Alltag. Die Fußballweltmeisterschaft hinterläßt neben horrenden Schulden aber auch Chancen; junge welt 17.07.2010

Zabalaza Anarchist Communist Front; ALL IN THE NAME OF THE GAIN; A ZACF statement on the 2010 Soccer World Cup in South Africa; Juni 2010

weitere Internetquellen: www.abahlali.org; www.irinnews.org