Die ökologische Katastrophe des Uranabbaus im Niger
50.000 Menschen haben im Wendland gegen die Castortransporte demonstriert. Aufgrund der von der Bundesregierung verabschiedeten AKW-Laufzeitverlängerung fiel der Protest massiver und breiter aus als in früheren Jahren. Was bei der Mobilisierung jedoch ein wenig verwundert, ist der fast ausschließliche Blick auf die Bedrohung hier. Schätzungen gehen davon aus, dass 23 Prozent des in deutschen Atomkraftwerken verbrauchten Urans aus dem nördlichen Niger kommen.1 Seine Förderung in der zentralen Sahara steht für eine ökologische Katastrophe mit unabsehbaren langfristigen Folgen für die in der Region lebenden Menschen. Der französische Atomriese Areva (u.a. Hauptsponsor des 1. FC Nürnberg)betreibt dort die Ausbeutung des nuklearen Brennstoffes. Areva ist auch Eigentümer der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague, von wo am 4. November die Castorbehälter mit hoch radioaktivem Atommüll nach Gorleben geschickt wurden.
Die Entscheidung des französischen Nuklearkonzerns Areva, 1968 im Niger in die Uranförderung einzusteigen, fiel zwangsläufig. Mit der Entdeckung reichhaltiger Uranvorkommen im Sedimentgestein der Sahara konnte der Staatskonzern die umstrittenen Minen im eigenen Land schließen und mit Protektion der französischen Regierung beginnen, die Uranvorkommen der einstigen Kolonie mit minimalen Lohnkosten und ohne Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen auszubeuten. So entstanden in der Air-Region im Norden des Landesinnerhalb von sechs Jahren zwei von verschiedenen Tochtergesellschaften betriebene Abbaustätten. 1968 wurde die von der Societé des mines de l’AIR im Tagebau arbeitende Mine SOMAIR eröffnet, der 1974 die von der Compagnie minière d’Akouta gemanagte, allerdings unter Tage fördernde COMINAK folgte. Zusätzlich ließ Areva die Orte Arlit und Akokan, nur wenige Kilometer von den Bergwerken entfernt,aus dem Wüstenboden stampfen, um 3.000 Bergleute mit ihren Familien sowie Dienstleister_innen unterbringen zu können. Nach und nach wuchsen die Neugründungen zu einer Agglomeration mit 80 bis 100.000 Menschen heran. Die slumähnlichen Lebensbedingungen
rund um die Kernstädte gaben Arlit und Akokan das für afrikanische Ballungsräume typische zweite Gesicht. Während die Angestellten der Areva in Werkssiedlungen mit befestigten Straßen, fließend Wasser und Elektrizität in der Nähe von Schulen, Krankenhäusern und Sportanlagen ein zumindest von der Infrastruktur her angenehmes Leben führen können, bleibt für die anderen am Rande der Stadt nur der staubige Slum mit seinen aus getrocknetem Lehm und verschiedenen Abfallstoffen erbauten Hütten ohne jede noch so elementare Versorgung.
Zugang zum Wasser als Überlebensgarantie
Die Bewohner_innen der Elendsviertel gehören zu den großen Verlierer_innen des Urangeschäfts. Sie stammen vorwiegend aus der ‚Volksgruppe‘ der Tuareg und nutzen die mittlere Sahara im Grenzgebiet zu Mali, Libyen und Algerien seit dem siebten Jahrhundert als Weide-, Wander- und Anbaugebiet.
Dieser Lebensraum gilt als äußerst empfindliches Ökosystem. Nur dank riesiger unterirdischer Grundwasserreservoire sowie zahlreicher Regenwasserspeicher, die über ein ausgeklügeltes System von Brunnen angezapft werden, konnte es überhaupt besiedelt werden.
Die Kel Tamasheq, wie die Tuareg sichselber nennen, sicherten sich inmitten des Wüstengebietes mit dem traditionelle Wissen um den Zugang zum Wasser die Möglichkeit zur Ausübung verschiedenster Tätigkeiten. Bis heute leben sie vom Transport von Waren und Menschen an die Westküste des Kontinents oder in den Maghreb. Vor allem Migrant_innen sind auf sie angewiesen, um die Sahara auf dem Weg nach Europa zu durchqueren.2 Doch die Zeiten, in denen ein Großteil der Bevölkerung von diesem Geschäft profitieren konnte, sind lange vorbei. Bereits seit dem 19. Jahrhundert verloren die von ihrgeführten Karawanen, die bis dahin den Transsaharahandel – auch mit Sklaven aus dem Süden Afrikas – beherrschten, aufgrund veränderter Handelsrouten und des technischen Fortschritts bei den Verkehrsmitteln an Bedeutung. Deshalb beschränken sich mittlerweile viele Tuaregfamilien auf nomadische Weidewirtschaft oder Subsistenz in den Oasen mit der Anpflanzung von Dattelpalmen, Zitrusfrüchten oder Gemüse wie Tomaten, Zwiebeln usw. Aber selbst diese Überlebensreserven sind und waren stets prekär. So führten Dürrekatastrophen wie jüngst die von 1968 bis 1973 und von 1983 bis 1985 zu weiteren dramatischen Reduzierungen der Viehbestände.
Zudem versuchten die Regime von Bamako und Niamey immer wieder, soziale Probleme zu ethnisieren. Konflikte zwischen sesshaften Bäuer_innen und nomadisierenden Tuareg um das (wegen der ökologischen Katastrophen und der Ausweitung der Cash-Crop-Produktion) immer knapper werdende Land, wurden als Auseinandersetzung zwischen schwarzen nationalen Afrikanern und „weißen“, staatenlosen Tuareg, mit ihrer Geschichte als Sklavenhändler, in einen vermeintlichen antirassistischen Zusammenhang eingebettet. Besonders die zahlreichen Militärregierungen des Niger griffen gerne zu diesem Mittel, um das soziale Konfliktpotential im Land einzudämmen.
Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Tuareg und nigrischen Streitkräften
Schon direkt nach der Unabhängigkeit im Jahre 1960 geriet die nomadische Lebensweise der Tuareg ins Visier des noch jungen nigrischen Staates. Bereits damals wollten die Behörden sie zur Sesshaftigkeit zwingen und über Landübertragungen an Bauern aus dem Süden die großflächige Weidewirtschaft einschränken. Auch die großen Dürren in den 70er und 80er Jahren nutzte das Militär, um die angestammte Bevölkerung über Zwangsumsiedlungen und gezielte Brunnenvergiftungen zu vertreiben.
Die Tuareg selbst reagierten noch bis Ende der achtziger Jahre auf Dürre und Repression mit Emigration ins benachbarte Algerien oder Libyen. Das änderte sich, als 1990 über Rücksiedlungsprogramme Zehntausende von ihnen in den Norden Nigers zurückkehrten und sich zu organisieren begannen. Am 4. und 5. Mai des selben Jahres demonstrierten gut 100 Menschen gegen gegen unhaltbare Zustände in den Flüchtlingslagern und die Veruntreuung internationaler Finanzhilfen durch den Staat, die den Rückkehrer_innen hätten zugute kommen sollen. Als Reaktion auf die Verhaftung der Demonstrant_innen durch die Staatsorgane griff am 7. Mai eine bewaffnete Gruppe das Gefängnis von Tchin-Tabaraden an und befreite die bei der Protestaktion Verhafteten. Die nigrischen Streitkräfte beantworteten ihrerseits die erste Guerillaktion einer Tuareg-Gruppe mit der Bombardierung des Ortes. In der darauf folgenden staatlichen Repressionswelle wurden über 1.500 Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit umgebracht.3
Wechsel von Krieg und Frieden
Dies führte zu einem Mentalitätswandel bei der ansässigen Bevölkerung. Sie sah die Emigration nicht mehr als einzige Antwort auf die Repression des Staates und politisierte sich. Zahlreiche bewaffnete Organisationen entstanden. So wechselten Zeiten verstärkter militärischer Auseinandersetzungen mit durch Friedensabkommen abgesicherten ruhigeren Phasen ab. Im Friedensvertrag vom April 1995 garantierte die nigrische Regierung den Bewohner_innen ein ökonomisches und soziales Entwicklungsprogramm für Nahrungsmittelversorgung, Ausbildung und Beschäftigung sowie Gesundheit. Außerdem sollten die Regionen auch finanziell von den bei ihnen ausgebeuteten Rohstoffen profitieren und über Dezentralisierung der Verwaltung an diesbezüglichen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Die Guerillaorganisationen goutierten dies, indem sie im Jahre 2000 während einer symbolträchtigen Aktion ihre Waffen öffentlich zerstörten und damit eine siebenjährige Kriegspause einleiteten.
Als sich immer deutlicher abzeichnete, dass das nigrische Regime nicht gewillt war, die getroffenen Abmachungen einzuhalten, begann im Februar 2007 ein neuer Zyklus von Kämpfen. Mit dem Angriff auf einen Militärstützpunkt nahe Iferouane markierte das bis dahin unbekannte Mouvement des Nigériens pour la justice (MNJ) den Beginn regelmäßiger Attacken auf Militärbasen und Versorgungseinrichtungen der Uranminen. Das nigrische Parlament konterte mit der im Schnellverfahren genehmigten Freigabe von 60 Millionen US-Dollar zur Sicherung der Uran- und Ölvorkommen und Präsident Tandja, als Innenminister bereits 1990 Hauptverantwortlicher für die an den Tuareg begangenen Massaker, ließ mit 4000 Soldaten die Hälfte seiner Armee in die Krisenregion um die Bezirkshauptstadt Agadez schicken. Der sich daraus entwickelnde Ausnahmezustand, verbunden mit Vertreibungen, ethnisch begründeten Repressalien und massiven Menschenrechtsverletzungen, dauerte bis zum 18.02. dieses Jahres, als putschende Militärs den Präsidenten absetzten und damit eine erneute Befriedung dieses Gebietes einleiteten.4
Abraum und Klärschlamm ungeschützt gelagert und radioaktiv verseucht
Dass der Uranabbau verstärkt ins Visier der bewaffneten Organisationen geriet, war nicht verwunderlich. Areva holte mit den beiden Minen insgesamt 100 000 Tonnen Uran aus dem Wüstenboden und erlöste damit einen jährlichen Reingewinn von ungefähr 200 Millionen Euro.5
Soziale oder ökologische Fragen interessierten den französischen Staatskonzern offensichtlich nicht.
Dabei sind die äußeren landschaftlichen Veränderungen schon auf Satellitenbildern erkennbar. Der Übertageabbau auf der SOMAIR erinnert an die großen Braunkohlegruben am Niederrhein oder in den östlichen Bundesländern. 50 bis 60 Meter tiefe, in den Wüstenboden gefressene Krater wechseln sich mit riesigen Gesteinshalden ab, über die ungehindert der Wind hinweg pfeift. Diese Schuttberge sind das erste Abfallprodukt in der Uranausbeutung. Im nächsten Schritt zermahlen Mühlen vor Ort das aus dem Gestein gewonnene Erz, um aus ihm mit Schwefelsäure und Unmengen von Wasser das verbrauchsfähige Uran auszuwaschen. Auch bei diesem Prozess bleiben nochmals gewaltige Mengen von Klärschlamm, ungeschützt in Rückhaltebecken gelagert, zurück. Das zwischenzeitlich auf 600 Grad erhitzte Endprodukt wird dann als Urankuchen namens ‚Yellow Cake‘ in Fässer verpackt über den Hafen von Cotonou (Benin) nach Marseille verschifft.
Der Abbau unter Tage auf der nur wenige Kilometer entfernten COMINAK, mit über 250 Kilometern langen und bis in 250 Metern Tiefe gehenden Stollen die derzeit größte unterirdisch fördernde Uranmine weltweit, findet nach dem gleichen Prinzip statt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Abraum dort teilweise in nicht mehr benutzte Stollen verfüllt werden kann. Die COMINAK zieht aus einer Tonne Erde 4,5 bis 5 Kilogramm Uran, die SOMAIR 3 bis 3,5 Kilogramm.6
Die gewaltigen Erdbewegungen mit den offenen Halden sorgen für hohe Radonemissionen an Luft und Grundwasser. 85 Prozent der Radioaktivität des normalerweise vom Erdboden abgedeckten Uranerzes verbleibt in den angehäuften 35 Millionen Tonnen Abraum und den durch die Wüstenwinde austrocknenden Klärschlammbecken.7
Aber nicht nur die Luft in der näheren Umgebung ist radioaktiv kontaminiert. Auch Straßen, Plätze und Häuser, für die einfache Erde als Baustoff benutzt wird, weisen Werte stark erhöhter Radioaktivität auf. Selbst für Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, die meist aus für die Rohstoffförderung nicht mehr gebrauchten Werk- oder Fahrzeugen recycelt, den Weg auf die umliegenden Märkte finden, gilt dies. Das betrifft Hausdächer ebenso wie Küchengeräte – selbst aussortierte Arbeitskleidung findet sich in den Haushalten wieder.
Wasserklau durch Areva bedroht Bevölkerung
Wenn bei diesem Horrorszenario überhaupt eine Bewertung der jeweiligen Emissionen vorgenommen werden kann, so stellt in einem Wüstengebiet die Beeinträchtigung des Grundwassers langfristig die größte Gefahr für das Überleben der dort siedelnden Menschen dar. Hierbei geht es nicht nur um die voranschreitende radioaktive Kontaminierung vieler Brunnen, vielmehr gräbt der Uranabbau der Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. 270 Milliarden Liter kostete der Abbauprozess seit seinem Beginn: davon wurden 65 Prozent für die Wasserversorgung der neu entstandenen Agglomeration von Arlit und Akokan und 35 Prozent für die Arbeiten in den Minen verbraucht.8
20 Prozent diese überaus kostbaren Rohstoffes kommt aus dem unterirdisch gelegenen Grundwasserreservoir von Agadez, das mit einer Länge von ungefähr 360 und einer Breite von bis zu 230 Kilometern eine zentrale Bedeutung für das über abzweigende Flussläufe versorgte Brunnensystem der zentralen Sahara hat. Aber auch die darüber liegende Ebene von Irhazer wird von zahlreichen Clans der Tuareg als saisonales Weidegebiet genutzt. Sie ziehen alljährlich an die tausend Kilometer bis hierher, um ihre Tiere nach Ende der Regenzeit mit den nun zahlreich sprießenden Pflanzen und und dem mit Natron angereicherten Wasser zu versorgen. Dieser von den Einheimischen als ‚Salzkur‘ bezeichnete zwei- bis dreimonatige Aufenthalt in der Ebene von Irhazer liefert den Kamelen, Ziegen und Maultieren die nötigen Nährstoffe, um die weiteren anstrengenden Wanderungen bis zum Verkauf einigermaßen genährt überleben zu können. So treffen sich während dieser Zeit zwei Drittel der im Niger Viehwirtschaft betreibenden Nomadenstämme, die Zeit der Salzkur auch zum Austausch und zahlreichen Festen nutzend.9
Es ist allerdings fraglich, wie lange die Ebene von Irhazer mit ihrem unterirdischen Wasserreservoir noch diese zentrale Rolle für die Viehhaltung spielen kann. In Zukunft soll auch dort Uran abgebaut werden, obwohl schon jetzt die Grundwasserspiegel dramatisch sinken. Die nomadische Weidewirtschaft ist durch ihren ständigen Standortwechsel die traditionelle ökologische Anpassung an den landschaftlich bedingten Wassermangel. Areva hingegen zieht das notwendige Wasser bei Bedarf einfach woanders ab oder setzt leistungsfähigere Pumpen ein. Almoustapha Alhacen, Präsident der lokalen Nichtregierungsorganisation Aghir in Man bilanziert das ganze so: „Anhaltende Umweltzerstörung! Wassermangel, weil der Grundwasserstand sich derzeit bei 70 Prozent befindet. Da die Reservoire 100 Millionen Jahre brauchen, um sich wieder zu füllen, kann man sagen, das sie sich nicht wieder füllen werden. Entsprechend sind die Tiere verschwunden. Die Pflanzen sind verschwunden. Es ist eine Wüste, aber es gibt Bäume…deren Wurzeln können nicht weiter als 60 Meter in die Tiefe wachsen. Wie auch immer, der Grundwasserspiegel liegt jetzt 300 Meter tief: die Bäume können sie nicht erreichen. Die Erbschaft für uns ist anhaltende Umweltzerstörung.“10
Ignoranz gegenüber radioaktiver Kontaminierung
Nach ersten Untersuchungen der französischen Umweltorganisation CRIIRAD (Commission de Recherche et d’Information Indépendante sur la Radioactivité) im Jahr2003 und 2005 besuchte im November 2009 ein Team von Greenpeace die Uranregion, um bei ihren Messungen zu ähnlich erschreckenden Ergebnissen zu kommen wie die CRIIRAD. In vier von fünf in der Gegend von Arlit kontrollierten Brunnen war die Konzentration der radioaktiven Alphateilchen höher als der von der Weltgesundheitsorganisation festgeschriebene Grenzwert von 0,5 Bequerel. An einer Wasserstelle konnte eine Belastung radioaktiver Alphateilchen von 3,32 Bequerel gemessen werden.11 Die an der Luft festgestellten Messwerte von Radon 22 lagen bei der Polizeistation von Akokan, zweieinhalb Kilometer vom Untertageabbau der COMINAK entfernt, drei bis sieben Mal höher als in der weiteren Umgebung.12 Bei den Straßenbelägen, nicht selten repariert mit Abraum aus den Minen, stieß Greenpeace auf 500 Mal höhere Belastungen als die WHO-Grenzwerte. Hier reicht der Aufenthalt an einem Tag, um einer radioaktiven Belastung ausgesetzt zu sein, die der zulässigen Höchstdosis eines Jahres entspricht.13 Ein von der Zeche ausgemusterter und dann weiter verkaufter sechs Meter langer Metallständer, von den Einheimischen oft für den Hausbau genutzt, wies einen Messwert von 7,8 MicroSivert auf, was einer 50fach erhöhten radioaktiven Kontaminierung entspricht.14
Obwohl über die Untersuchungen von CRIIRAD und Greenpeace belegt eine seit Jahrzehnten die gesamte Umwelt erfassende radioaktive Verseuchung stattfindet, ist der französische Atomkonzern immer noch nicht gewillt, dies als von ihm zu verantwortendes Problem zu sehen. Immer wieder bewies Areva äußerste Ignoranz gegenüber den Gefährdungen von Mensch und Umwelt. Erst 15 Jahre nach Eröffnung der Minen erhielten die Arbeiter Schutzkleidung mit Masken. Zuvor hatten sie die ganze Zeit mit ihrer Alltagskleidung gearbeitet und so den Staub aus den Minen mit nach Hause getragen. Als am 23.01.2004 bei einem Urantransport Richtung Coutonou im Süden Nigers ein LKW durch einen schweren Unfall 17 Fässer ‚Yellow Cake‘ verlor, brauchte Areva trotz Aufforderungen der Behörden mehr als einen Monat, um die Unfallstelle mit den zerborstenen Fässern zu säubern und zu dekontaminieren. Erst als französische Journalisten über dort spielende Kinder berichtet und CRIIRAD 2000fach erhöhte Radioaktivitätswerte festgestellt hatten, wurde das Unternehmen endlich aktiv.15
Areva kann sich so verhalten, weil die staatlichen Organe im Niger weder willens noch in der Lage sind, den mächtigen Atomkonzern angemessen zu überwachen. Die für die Atomsicherheit zuständige Kontrollbehörde CNRP hofft, im nächsten Jahr endlich über das Personal und die entsprechenden Geräte zu verfügen, um erforderliche Kontrollmessungen durchführen zu können. Noch stärker fallen das Fehlen einer staatlichen Infrastruktur im Gesundheitswesen ins Gewicht.16 Denn Areva besitzt mit seinen beiden Kliniken vor Ort das Monopol in diesem Bereich und kann so noch 2009 behaupten: „Krebserkrankungen sind extrem selten. Während des 40 Jahre währenden Uranabbaus wurde kein einziger Fall aufgedeckt, den man mit der Verseuchung durch radioaktive Bestrahlung in Verbindung bringen könnte. Krebs ist eine Erkrankung, die man hauptsächlich in westlichen Staaten mit erhöhter Umweltverschmutzung und stärkerem Konsum von üppigem Essen, Tabak und Alkohol findet.“17 Zahlreiche Krankheitsgeschichten der Bewohner_innen von Arlit und Akokan widerlegen die zynische Einschätzung des Atomkonzerns. Aber sie sind nicht durch offizielle ärztliche Gutachten abgesichert, weil es keine unabhängigen Ärzte gibt, die solche Untersuchungen durchführen.
Mit dem Tod des französischen Vorarbeiters Serge Venel könnte sich das ändern. Er starb am 31.07.2009 im Alter von 59 Jahren an Lungenkrebs. Da seine Tochter in dem klinisch ausnahmsweise gut dokumentierten Fall für eine Anerkennung als Berufserkrankung prozessiert, wird Areva möglicherweise von französischen Gerichten gezwungen, die potentielle Gefährdung ihrer Mitarbeiter_innen anzuerkennen und ihnen finanzielle Entschädigungen anbieten zu müssen.18
Ausverkauf an die Uranindustrie geht weiter
Trotz Putsch gegen Präsident Tandja und demokratischer Öffnung wird der Ausverkauf der nördlichen Region des Nigers an die Uranindustrie vermutlich weiter gehen. Areva plant für das Jahr 2013 in Imouraren, die zweitgrößte Mine der Welt zu eröffnen, und auf einer Fläche von der doppelten Größe der Schweiz sind Abbaukonzessionen an chinesische, indische, kanadische und südafrikanische Uranunternehmen vergeben worden.19 Die Ebene von Irhazer liegt genau im Zentrum dieser Ansiedlungen, das riesige Grundwasserreservoir von Agadez dürfte sich weiter leeren. Die ökologische Katastrophe bezahlt allein die Armutsbevölkerung. Obwohl der Niger als drittgrößter Uranexporteur gilt, hat sich das bisher nicht in der erhofften Verbesserung der Lebensbedingungen niedergeschlagen. Gemäß des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen steht das Land weltweit auf dem letzten Platz, 80 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten. Angesichts dessen, dass der immer wieder von Hungerkatastrophen und zunehmenden Dürreperioden bedrohte Saharastaat noch 2008 11 Prozent des BIP mit seiner nachhaltigen Weidewirtschaft produzierte, während der Uranabbau gerade 1,8 Prozent dazu beitrug, wird der ökologische und ökonomische Wahnsinn einer auf den Uran setzenden Entwicklung mehr als deutlich.20
So begannen Ende der 1990er Jahre lokale Basisorganisationen, Druck auf Areva auszuüben. Im Mai 2006 demonstrierten 6000 Menschen gegen den unverantwortlichen Umgang im Umwelt- und Arbeitsschutz. Seitdem hat der Konzern nach Aussagen der lokalen Umweltorganisation Aghir in Man einige Verbesserungen in der Ausrüstung und der Informationspolitik gegenüber seinen Mitarbeiter_innen vorgenommen.
Allerdings gehen weder die örtlichen Basisinitiativen noch die bewaffneten Tuaregorganisationen soweit, das Ende der Uranausbeutung zu fordern. Das wäre jedoch notwendig, um langfristig das durch Wassermangel und fortschreitende Verwüstung in Frage gestellte Überleben der ansässigen Bevölkerung zu sichern. Derzeit bedrohen einzig und allein die Islamisten die Interessen der Urankonzerne. Mitte September überfielen in Arlit 30 Bewaffnete der Al-Quaida maghreb islamique einen Wohntrakt von Areva und entführten sieben ausländische Mitarbeiter des Konzerns, davon fünf französischer Herkunft. Noch immer laufen die sehr diskret geführten Verhandlungen. Doch in denen spielen die Interessen der Menschen in der Region keine Rolle. Hier geht es vielmehr über die Einnahme von Lösegeldern um das Auffüllen der eigenen Kriegskasse.
1http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/uran_deutschland_2009.pdf
2 Fabrizio Gatti: Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa
3http://www.temoust.org/nous-touaregs-1990,10624
4Neue Tuareg-Rebellion: Der Niger in der „Konfliktfalle“? Dezember 2007. GIGA Focus Afrika S.4/5
5Left in the Dust. Areva’s radioactive legacy in the desert towns of Niger. Greenpeace S.10
6La malédiction de l’uranium (Der Fluch des Urans) S.13
7Left in the Dust. Greenpeace. S.17
8Ebenda S. 21
9La malédiction de l’uranium S.9
10Left in the Dust. Greenpeace. S. 22
11Ebenda S. 25
12Ebenda S. 31
13Ebenda S. 42
14Ebenda S. 45
15La Malédiction de l’uranium. S. 13
16Left in the Dust. Greenpeace. S. 32
17Ebenda S. 53
18http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,686763,00.html
19Frankreichs Uranindustrie in Niger in Bedrängnis. Neue Zürcher Zeitung. 20.09.10
20La Malédiction de l’uranium. S.12