Interview mit zwei Teilnehmer_innen der ‚Bamako – Dakar Karawane‘
Vom 27.01. bis zum 06.02.2011 bewegte sich von Bamako in Mali aus eine Buskarawane mit 200 afrikanischen und 50 europäischen Aktivist_innen antirassistischer Initiativen in Richtung Dakar im Senegal, um am dort stattfindenden Welt-Sozialforum teilzunehmen. Ziel dieser ungewöhnlichen Reise war es, mit verschiedenen Aktionen, zahlreichen Kundgebungen und Versammlungen für ‚Bewegungsfreiheit‘ und ‚gerechte Entwicklung‘ zu demonstrieren. Wir haben mit zwei Teilnehmer_innen über über dieses bisher einzigartige politische Experiment gesprochen.
Könnt ihr euch ganz kurz selber vorstellen:
A.♀ : Ich bin in Togo geboren und vor über 10 Jahren nach Deutschland gekommen. Ich habe die Lagerbedingungen, die ich als Frau besonders entwürdigend fand, am eigenen Leib erfahren und stand schon mal kurz vor einer Abschiebung. Inzwischen habe ich ein gesichertes Aufenthaltsrecht, weswegen ich auch an der Bamako-Mali-Tour teilnehmen konnte.
R.♂: Ich bin in Deutschland geboren und seit etwa 25 Jahren als internationalistischer Aktivist in antirassistischen Gruppen. Schon seit langem beschäftige ich mich besonders mit den sozialen Verhältnissen und Widerständigkeiten im subsaharischen Afrika.
Warum habt ihr bei der Karawanemitgemacht?
A.: Weil ich den Frauen und Mädchen in Afrika zuhören wollte, ihre Demütigungen, ihre Ideen und Kämpfe kennen lernen wollte. Um sie zu bestärken und um zu sehen, welche Wege der Befreiung es geben kann. Oft fehlt den Frauen das Vertrauen, öffentlich zu reden – das wollte ich während der Karawane zum Thema machen.
R.: Der globale Kapitalismus ist längst transnational organisiert. Was mich interessiert, sind Möglichkeiten und Entwicklung transnationaler Widerständigkeit und Solidarität dagegen.
Denn durch die weltweiten Migrationsbewegungen sind soziale Netzwerke jenseits der nationalstaatlichen Begrenztheiten und Grenzen entstanden, in der Migrationssoziologie „transnationale Sozialräume“ genannt.
Durch die antirassistische Arbeit, nach meinem Verständnis anti-imperialistische Migrationspolitik mit Flüchtlingen, habe ich konkret die Existenz dieser „transnationalen Sozialräume“ mitbekommen. Dass also Migrant_innen hier mit ihren Geldüberweisungen Familienangehörige im Herkunftsland unterstützen, dass Angehörige oder gute Freund_innen nachgeholt werden, andere wieder zurückgehen, dass im Herkunftsland Häuser als Alterssitz gebaut werden oder kleine Unternehmen gegründet werden, wobei der Lebensmittelpunkt in Europa bleibt, oder jemandem wird ein Studium in einem Drittland finanziert, dass also diese sozialen Netzwerke nicht auf ein Herkunfts- und ein Zielland beschränkt sind und die Aufenthalte oft temporär sind, teilweise eben auch erzwungenermaßen, oder die Leute sich zwischen den verschiedenen Standorten des Netzes bewegen.
Die Frage ist, wie vor dem Hintergrund solcher transnationaler sozialer Beziehungsgeflechte entsprechende Widerstandsbeziehungen entwickelt werden können. Dabei gehe ich davon aus, dass das nicht nur über die modernen Kommunikationsmittel funktionieren kann, sondern dass die persönliche Begegnung und Auseinandersetzung notwendig dazu gehört.
Könnt ihr kurz den Ablauf der gut zweieinhalbwöchigen Reise beschreiben.
A.: Es gab drei Teile: Die erste Woche in Bamako mit einem Abstecher zu dem malisch-mauretanischem Grenzort Nioro du Sahel. Dann ging die Fahrt zusammen mit einer weiteren Karawane, die von Kamerun über Togo und Burkina-Faso zu uns gestoßen ist, in 12 Bussen mit insgesamt etwa 500 Leuten in Richtung Dakar. Auf dem Weg dorthin haben wir in drei Städten – Kayes, Tambacounda und Kaolack – Station gemacht, jeweils mit Veranstaltungen und Aktionen, die mit Initiativen vor Ort organisiert worden waren.
In den letzten Tagen waren wir beim Welt-Sozialforum, das auf dem Universitätsgelände in Dakar stattfand, und haben dort Seminare durchgeführt und u.a. eine Demonstration zum Sitz von FRONTEX.
Was fandet ihr besonders spannend während eurer Karawanentour?
A.: Das große Engagement der afrikanischen Frauen für den Kampf um ihre Rechte, gegen patriarchale Gewalt und sexuelle Ausbeutung, z.B. die Zwangsverheiratung von jungen Mädchen. Außerdem gibt es viele Frauen, die für den Erhalt ihres selbst organisierten Anbaus von Lebensmitteln kämpfen.
Daneben fand ich die im Vergleich zu Togo extreme Armut, besonders in Bamako, bemerkenswert. Viele Kinder waren auf den Straßen und haben um Essen und/oder Geld gebettelt, offensichtlich gehen sie nicht zur Schule.
Ein weiterer interessanter Punkt war, dass es vor unserer Fahrt bei einigen von uns die Befürchtung gab, dass unsere Karawane oder einzelne von uns von Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) angegriffen oder entführt werden könnten.
In Bamako haben wir dann festgestellt, dass das dort überhaupt kein Thema ist. Wir haben uns völlig frei bewegt. Die malischen Freunde, bei denen wir in Bamako untergebracht waren, haben uns berichtet, dass die Terrorwarnungen zum großen Teil Propaganda sind, damit die Regierung mehr Gelder von den USA und anderen für den Ausbau ihres Repressions-Apparates bekommen. So handelte es sich bei dem vermeintlichen Attentäter, der am 5. Januar 2011 einen Anschlag auf die französischen Botschaft verübt haben soll, um einen frustrierten Tunesier, dem zum achten Mal ein Visumsantrag abgelehnt worden war und der aus Ärger darüber auf die Tür der Botschaft geschossen hat. In Mali selbst ist noch nie jemand entführt worden. Allerdings ist der nördliche Teil von Mali offenbar Rückzugsgebiet für AQMI-Gruppen. Viel mehr Probleme als erwartet hatten wir dagegen mit der malischen Polizei. Uns wurde berichtet und wir haben selbst erlebt, dass es schwierig ist, eine Demonstration anzumelden, und dass die Polizei schnell eingreift und Kundgebungen gewaltsam auflöst, auch mit Anmeldung. So wurde eine unangemeldete Demonstration zur französischen Botschaft, die von den mit uns gereisten Sans Papiers von dem Ministère de la Régularisation des Tous les Sans Papiers 1 aus Paris organisiert worden war, nach kurzer Zeit mit Schlagstockeinsatz und Tränengasgranaten von einer behelmten Polizeitruppe aufgelöst. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt. Wegen dieses überraschend heftigen Polizei-Einsatzes gab es später bei den Vollversammlungen jedes Mal lange Diskussionen über den Umgang mit der zu erwartenden Repression bei den geplanten Aktionen. Uns wurde berichtet, dass es zwar keine politischen Gefangenen in Mali gibt, es aber oft zu temporären Inhaftierungen von Aktivist_innen kommt.
R.: Ich hatte immer den Eindruck, „Afrika“ wäre von den weltweiten Auseinandersetzungen um eine Neuausrichtung emanzipatorischer Politik nach dem Scheitern der sozialistischen und kapitalistischen Entwicklungskonzepte, so wie sie sich u.a. im Welt-Sozialforums-Prozess widerspiegeln, irgendwie abgekoppelt.
Doch während unserer Reise habe ich den Eindruck gewonnen, dass es dort auch eine große Ablehnung gegenüber Formen politischer Repräsentanz gibt – wie z.B. Parteien, große (meist staatsnahe) Gewerkschaften oder NGO’s – und eine Besinnung auf die eigenen Kräfte, ebenso wie gegenüber vermeintlichem technologischen Fortschritt wie etwa gentechnisch manipuliertem Saatgut oder gegenüber Projekten, die „Arbeitsplätze“ schaffen sollen, bei deren Umsetzung aber viele Menschen von ihren Subsistenzböden und/oder Behausungen vertrieben werden; einen verbreiteten Wunsch, „freie/r Lohnarbeiter_in“ zu werden, konnte ich in dem Zusammenhang jedenfalls nicht feststellen.
Eine weitere Sache fand ich interessant, nämlich mit welche Ausdauer zugehört wird. Mehrmals waren die Veranstaltungen, an denen wir beteiligt waren, so angelegt, dass nach mehr oder weniger ausschweifenden Einleitungs-statements Vertreter_innen (tatsächlich fast nur männlichen Geschlechts) der an der Karawane Beteiligten und der jeweils lokalen Organisationen ihre Arbeit, ihre Auseinandersetzungen vorstellten (für das Recht auf Wohnraum, gegen Vertreibung, oder für den Erhalt des lokalen Zentralmarktes o.ä.). Diese „Konferenzen“ zogen sich teilweise über Stunden hin, und trotzdem folgten die Zuhörer_innen den Vorträgen bis zum Ende äußerst konzentriert. Im Anschluss wurden Fragen gestellt oder kurze Stellungnahmen abgegeben, auf die vom Podium geantwortet wurde.
Neben der wirklich starken Beteiligung von Frauen sowohl bei den an der Karawane beteiligten Gruppen wie auch beim Welt-Sozialforum sind auffallend viele Ältere dabei gewesen.
Was sind die Themen, die die afrikanischen Basisinitiativen eurem Eindruck nach derzeit am meisten beschäftigen? Schätzen die Aktivist_innen dort politisch grundsätzliche Fragen ähnlich ein wie ihr hier?
A.: Wie bereits gesagt, war ein wichtiges Thema, zumindest auf dem Welt-Sozialforum, Gewalt gegen Frauen und die Frage der Gleichberechtigung. Was uns hingegen gewundert hat, das war, dass Beschneidung kein Thema war, zumindest nicht bei den Veranstaltungen im Rahmen der Karawane und auch nicht bei dem Feminismus-Kongress in Kaolack. Slogans etc. richteten sich zwar auch gegen familiäre Gewalt, aber Beschneidung wurde nicht ausdrücklich genannt. Warum das so ist, konnte uns nicht richtig erklärt werden, meist erhielten wir als Antwort nur den Hinweis auf „Traditionen“. Bei dem Welt-Sozialforum gab es erstaunlich viele Gruppen, die sich für eine bessere Erziehung und Ausbildung einsetzen.
Bei denen, die in Lohnarbeitsverhältnissen stehen, gibt es viele Auseinandersetzungen um die pünktliche Auszahlung der Löhne, für Lohnerhöhungen, gegen Privatisierung von Staatsbetrieben und die damit verbundenen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen. Es gibt wie hier eine große Ablehnung der Privatisierung von Staatsbetrieben und Betrieben, die für die öffentliche Daseinsvorsorge von Bedeutung sind wie z.B. die Bahn.
R.: Ein sehr großes Thema ist die Vertreibung aus Häusern und vom eigenen Boden. In ländlichen Gemeinden gibt es viele Proteste gegen die Vertreibung ganzer Dörfer oder die Enteignung vom bebaubaren Land. Meistens geht es dabei um große multinationale Firmen, die Bodenschätze auf dem Gebiet abbauen wollen wie z.B. Gold. Die Firmen bestechen die staatlichen Verantwortlichen, die dann Polizei und Gendarmerie losschicken, um die Leute zu vertreiben.
Im städtischen Bereich geht es meistens um die Vertreibung ganzer Viertel, in denen arme Leute wohnen, um Platz zu machen für Neubauten wie z.B. ein Stadion, Verwaltungsgebäude oder Hotels.
Dort scheint das Selbstverständnis noch stärker verbreitet zu sein, dass die Menschen, die auf einem Grundstück wohnen und/oder Lebensmittel anbauen einen Anspruch darauf haben, es weiter nutzen zu können. Oft haben wir die Forderung des Rechts auf Wohnraum gesehen, oder die Forderung nach Ersatz-Wohnraum. Aber grundsätzlich gleicht sich der Kampf gegen Vertreibungen oder Großprojekte, bei denen Bäuer_innen enteignet werden, mit dem Kampf gegen Gentrifizierung bei uns.
Ein weiteres, damit verwandtes, Thema ist das ‚Landgrabbing‘. In Mali gehört übrigens auch der libysche Staat, der seit 1993 enge ökonomische Beziehungen zur malischen Regierung unterhält, neben Privat-Investoren zu den großen Enteignern. Im „Office de Niger“, einem Binnendelta-Gebiet des Flusses Niger, wo es äußerst fruchtbares und bewässertes Land gibt, hat Libyen über das Staatsunternehmen MALYBIA für die nächsten 50 Jahre rund 100.000Hektar Land gepachtet. Der Plan war2, dass sie Reis für den eigenen Bedarf in Libyen anbauen wollten, um sich von Importen unabhängig zu machen. Dafür wurden bereits tausende Bäuer_innen-Gemeinschaften zwangsenteignet.
Außerdem war – nicht zuletzt auch durch unsere Karawane – die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit und die von der EU ausgehenden militärischen Grenzkontrollen (FRONTEX) ein wichtiges Thema.
Wir begreifen die Weltordnung ja als imperialistisch. Habt ihr die konkreten Auswirkungen dieses Systems im Mali und im Senegal erfahren können? Wie werden diese von den Leuten dort wahrgenommen?
R.: Nach meinem Eindruck hat sich in den letzten Jahren die Weltmarkt-Einbindung des sub-saharischen Afrikas unter imperialistischem Vorzeichen enorm beschleunigt. Aber nicht etwa in Bereichen der Produktion von Konsumgütern oder Halbfertigprodukten, wie etwa bei dem Take-Off der „Asiatischen Tiger“ in den 80er Jahren, als dort die (niedrigen) Lohnkosten noch attraktiv waren, sondern vielmehr in den für Afrika „traditionellen“ Bereichen der Cashcrops und des Minings. Neu hinzu gekommen sind die Bereiche der öffentlichen Dienste, die seit den 90er Jahren unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme privatisiert und an Multis verkauft worden sind wie z.B. Wasserversorgung und Telefonnetze oder im Falle Malis die Eisenbahn.
Die Ausbeutung agrarischer Rohstoffe ist durch das schon angesprochene Landgrabbing und – mittelbar – durch die z.T. spekulative Hausse der Lebensmittelpreise verschärft worden. Die verstärkte Förderung von Metallen und Öl etc. ist durch die ökonomische Expansion von Volkswirtschaften wie China, Brasilien oder Indien angezogen. So ist inzwischen für Mali wertmäßig betrachtet Gold das wichtigste Exportprodukt.
Auffällig ist, dass nicht mehr nur Multis aus den klassischen imperialistischen Ländern West-Europas und den USA am Werk sind, sondern auch aus den sog. BRIC-Ländern 3 und – wie im Fall Malis – aus Süd-Afrika oder eben Libyen.
Diese Entwicklung bestätigt unsere Auffassung, wonach der „Imperialismus“ nicht mehr mit bestimmten Staaten identifiziert werden kann, sondern als ein transnationales System der Aufrechterhaltung abgestufter Reproduktions-Niveaus zum Zweck einer möglichst profitablen Verwertung und Enteignung zu begreifen ist.
Wie gesagt versuchen sich die Leute gegen die damit verbundenen Land-Vertreibungen zu wehren, oder es gibt Streiks gegen Privatisierungen. So ist bei den Gruppen, mit denen wir zu tun hatten, die libysche Regierung sehr verhasst, fast mehr noch als die französische. Einerseits wegen den schon genannten Landgrabbing- und Immobilien-Projekte 4. Andererseits aber auch wegen der Rolle der libyschen Regierung als williger Junior-Partner der EU im Krieg gegen Flüchtlinge.
Ist denn ‚Antiimperialismus‘ ein Thema für die Bewegungen dort?
A.: Als Begriff habe ich „Anti-Imperialismus“ nicht wahrgenommen. Das, was damit gemeint ist, wird eher als Kampf oder Widerstand gegen „neo-koloniale“ Ausbeutung formuliert. Unausgesprochen oder auch benannt war es inhaltlich ständig Thema: in der Kritik an den Praktiken Libyens oder der Multis aus anderen Ländern, in der Kritik an dem europäischen Grenzregime und der militärischen Verhinderung von Bewegungsfreiheit oder in der Kritik an der Ruinierung bäuerlicher Strukturen durch Billig-Importe von EU-Überschuss-Produktion.
Im Vorgespräch habt ihr immer wieder vom Präsidenten oder vom Vorsitzenden der einen oder anderen Organisation gesprochen. Ist das eine einfache Formalie oder das Merkmal einer mehr hierarchisch strukturierten Basisbewegung? Gibt es noch andere Unterschiede in der Art sich zu organisieren?
A.: Es ist mehr als eine Formalie. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bei den Treffen tatsächlich die Präsidenten – Präsident ist einfach das französische Wort für Vorsitzender – für ihre Organisation geredet haben. Oft gibt es in den Organisationen noch weitere Funktionen: zweite/r Vorsitzende/r, Generalsekretär/in, Kassenwart/in, Verantwortliche/r für die Kommunikation, für Außenkontakte, für die Technik, für Pressekontakte usf. . Bei den Frauen-Organisationen übrigens auch. Es handelt sich schon um reale Hierarchien mit ungleicher Macht- oder besser: Einflussverteilung, aber nicht im Sinne von Befehl- und Gehorsams-Strukturen. Die Mitglieder delegieren die Aufgaben an die Vorstandsmitglieder etc. und erwarten, dass diese ihre Aufgaben erfüllen. Wenn die Vorstandsmitglieder ihren Job nicht zur Zufriedenheit der Mitglieder machen, dann werden sie kritisiert und ggf. ausgetauscht.
Aber es gibt auch Gruppen, bei denen die Aufgabenverteilung nicht so streng praktiziert wird. Wir haben z.B. mit einer Organisation viel zu tun, bei denen normale Mitglieder genauso für ihre Organisation gesprochen haben, wie der formelle Vorsitzende.
Wir haben eigentlich keine Gruppe getroffen, die nicht als Verein/Association mit den genannten formellen Strukturen organisiert sind. Es gibt auch anarchistische Gruppen, aber zu denen hatten wir keinen direkten Kontakt.
Auf dem Weltsozialforum in Dakar, wo ihr ja die Karawanentour beendet habt, fiel die zahlenmäßig starke Teilnahme von Frauenorganisationen auf. Hattet ihr bei euren Aktivitäten zuvor auf afrikanischer Seite auch mit soviel Frauenpower zu tun?
A.: Ja, im Prinzip schon. Aber das Problem ist, dass ihre Power oft verdeckt ist. Beispielsweise habe wir in Bamako ein Frauentreffen gemacht, wobei die Frauen von der AME und Sympatisantinnen erzählt haben, dass es ihre Idee war, eine Karawane zu organisieren und sie haben weitere Vorschläge zum Programm gemacht, die auch umgesetzt worden sind. Aber als wir da waren, war ihre Beteiligung nicht sichtbar, sie waren nicht repräsentiert.
Ihre Stärke zeigte sich auch bei einem Treffen mit über 50 Frauen, dass wir ziemlich spontan bei unserer Station in Nioro du Sahel gemacht haben. Die Frauen haben über Probleme der Migration geredet, viele ihrer männlichen Verwandten haben sich nach Europa aufgemacht und wurden wieder zurück abgeschoben. Sie berichteten, dass die Zurückgeschobenen oft traumatisiert sind, und sie sich dann um sie kümmern. Eine Frau erzählte, dass sie bei der Organisierung eines Gemeinschafts-Garten -Projekt für Frauen beteiligt ist. Dass ist eine Chance auch für Frauen, die allein stehend sind, weil sie verwitwet oder geschieden sind, und die oftmals von der männlich dominierten Gesellschaft abgelehnt werden. Durch das Projekt sind sie nicht alleine und können für sich und ihre Kinder ihre Ernährungssituation verbessern. Das Interesse der anderen Frauen daran war bei dem Treffen sehr groß.
Viele Frauen beschwerten sich über die patriarchalen Strukturen. Beispielsweise bieten die katholischen Ordens-Schwestern in dem Gemeindehaus, wo wir in Nioro drei Tage lang untergebracht waren, Nähkurse für Mädchen und junge Frauen an. Aber die Väter und Ehemänner sind dagegen und meinen, die Mädchen bzw. Frauen gehörten ins Haus und sollten sich um den Haushalt kümmern.
Ergebnis unserer Diskussion an diesem Abend war, dass Frauen nicht alles den Männern überlassen und sich nicht von ihnen repräsentieren lassen sollen, dass sie ihre Wünsche und Kritik mutig zum Ausdruck bringen sollen.
Ich habe versucht, bei den verschiedenen Stationen der Karawane die Frauen zu ermutigen und aus dem Schatten zu holen. Sie haben sich bedankt dafür, dass sich jemand für ihre Probleme interessiert und sie die Möglichkeit hatten, öffentlich zu reden.
Von den bei der Karawane selbst beteiligten Frauen waren die meisten sehr zurückhaltend, sie sind es nicht gewohnt vor vielen Leuten bzw. Männern zu reden. Warum? Vielleicht deswegen, weil sie befürchten, dass ihre Männer eifersüchtig werden und sie Probleme bekommen.
Zu uns Frauen aus dem Norden haben sie gemeint, für uns gäbe es zwar auch keine Geschlechter-gerechtigkeit, aber wir hätten immerhin die materiellen Mittel, unser Leben selbst bestimmt zu gestalten.
Das Karawane-Projekt wurde unter anderem damit begründet, über seinen Rahmen Bedingungen für einen Austausch „auf Augenhöhe“ zwischen Aktivist_innen afrikanischer und europäischer Herkunft zu schaffen. War das real oder doch eher ein naiver Wunsch, angesichts dessen, dass allein die Finanzierung notgedrungen über die europäischen Initiativen lief und, wie das eine Reportage aus der Jungle World recht anschaulich beschreibt, die sozialen Unterschiede der Aktivist_innen aus den beiden Kontinenten auch sonst auf der Reise immer präsent blieben?
A.: Natürlich existieren die großen materiellen Unterschiede. Aber wir haben versucht, wenigstens während der Karawane für Alle die gleichen Bedingungen herzustellen. Wir haben alle dasselbe gegessen, es gab, wenn nicht gemeinschaftlich gekocht wurde, für alle dasselbe Essensgeld, die Unterbringungs-Umstände waren auch für alle gleich. Ich hatte auch nicht den Eindruck, das bei den Diskussionen irgendwie darauf Rücksicht genommen wurde, weder was Kritik noch Sympathie betrifft, dass der europäische Teil der Karawane das ganze Geld mitgebracht hatte.
Ich kann mich an eine Situation erinnern, als es kein Trinkwasser mehr gab. Jemand von der AME fuhr los, und holte Neues. Als er zurück kam, verteilte er das Wasser nur an uns aus Europa. Wir haben aber sofort dagegen protestiert. So etwas habe ich nicht wieder erlebt.
Gab es Dinge, die bei diesem Projekt hätten anders laufen müssen?
R.: Leider haben wir es versäumt, dass sich zumindest die beteiligten Gruppen des ‚Afrique-Europe-Interact-Netzwerkes‘ einmal in organisierter Form gegenseitig vorstellen und berichten, was sie machen. Der Informationsfluss war oftmals nicht so gut, manchmal war es nicht nachvollziehbar, wie Entscheidungen zustande gekommen waren. Das lag aber u.a. auch daran , dass viele Aufgaben und Verantwortung von zu wenigen übernommen worden waren.
Im Nachhinein fragt sich, ob das Großplenum immer die geeignete Form der Diskussion und Entscheidungsfindung ist. Denn die Plena zogen sich, auch wegen der Übersetzung in drei Sprachen, oft stundenlang hin, so dass nach und nach Leute müde waren und weg gingen. Auch haben sich gar nicht erst alle daran beteiligt. Vielleicht ist darüber nachzudenken, ob es neben dem Groß-Plenum Formen von Delegiert_innen-Treffen geben sollte, vor allem für organisatorische Fragen.
Durch die großen Zeitverluste, die wir während der Fahrt unterwegs immer wieder durch Pannen, Kontrollen oder sonstigem Durcheinander hatten, war die Zeit bei den Stationen kürzer als geplant. Dadurch fielen teilweise geplante Treffen mit Aktivist_innen vor Ort kürzer aus als vorgesehen.
War das ganze nun eine nette, gut gesponserte ‚alternative‘ Urlaubsreise oder, positiver gefragt, was nehmt ihr nach zweieinhalb Wochen Afrique-Europe-Interact Projekt mit in euren politischen Alltag hier, in eure Kämpfe gegen den rassistischen Normalzustand und für eine Welt ohne Grenzen und ohne Ausbeutung, eine Welt befreit von Unterdrückung aufgrund von Herkunft, Geschlecht und Lebensweise – wie es so schön in der Präsentation der Karawane heißt?
R.: Wir denken, dass die Karawane ein durchaus stabiles Fundament gelegt hat für eine weitere Zusammenarbeit. Wie die konkret aussehen kann, konnten wir während der Karawane leider nicht ausreichend diskutieren, das wurde beim Abschluss-Plenum in Dakar nur angerissen. Es gibt einerseits ein starkes Bedürfnis bei den malischen Organisationen, für ihre aktiven Mitglieder eine Existenz-Grundlage durch Gründung einer Kooperative zu schaffen wie z.B. einen Haarsalon oder zur Maniok-Weiterverarbeitung, oder durch Aufbau eines soziokulturellen Zentrums. Für diese Projekte wünschen sie sich finanzielle Unterstützung vom europäischen Teil des Netzwerks.
Andererseits wird daran überlegt, zu welchen konkreten Auseinandersetzungen aufeinander abgestimmte Kampagnen entwickelt werden können wie z.B. gegen das Landgrabbing oder gegen Privatisierung. Gegenwärtig ist es aber so, dass unsere „Haupt“-Partner- Organisation, die AME, vollauf mit der Unterstützung der (nicht nur) malischen Wanderarbeiter_innen beschäftigt ist, die vor dem Krieg in Libyen geflohen sind.
Hierzu läuft gerade ein Austausch mit dem afrikanischen Teil des Netzwerks, wie sie den Krieg und dessen Folgen für Wanderarbeiter_innen einschätzen, welche Unterstützung sie von uns evtl. brauchen.
A.: Mir ist noch mal deutlich geworden, wie wichtig die aktive Teilnahme der Frauen für die Stärke einer sozialen Bewegung ist. Wegen der noch bestehenden geschlechtlichen Arbeitsteilungen verkörpern sie die familiären und nachbarschaftlichen Sozialsysteme. Ohne Frauen gibt es keine gesellschaftliche Mobilisierung – das ist besonders bedeutsam, wenn eine Organisierung jenseits von Parteien oder anderen institutionellen Großverbänden angestrebt wird.
Die Karawane endete, wie bereits erwähnt, beim Weltsozialforum in Dakar. Wie habt ihr das WSF erlebt?
R.: Ein großes Problem war, dass kurz vor Beginn des WSF der Rektor der Cheich-Anta-Diop- Universität in Dakar, dem Veranstaltungsort, ausgetauscht worden war. Der neue Rektor, der der neo-liberalen Regierung unter dem senegalesischen Präsidenten Ibrahim Wade näher steht als dem WSF, fühlte sich nicht mehr an die Zusagen das vorherigen Rektors gebunden, was Absprachen über die Nutzung der Räume für die über tausend (!) Veranstaltungen anging. Deswegen gab es ein großes Chaos. Veranstaltungen fanden nicht in den Räumen statt, für die sie angekündigt waren. Der Uni-Betrieb lief ganz normal weiter. Wir hatten Probleme, für unsere Veranstaltungen Räume zu finden.
Das hat mich nach ersten missglückten Versuchen davon abgehalten, Veranstaltungen zu besuchen.
Beeindruckend war wirklich die große Beteiligung von mehr als der Hälfte Frauen und von Frauen-Organisationen. Geschätzte 90% der TeilnehmerInnen kamen aus dem insbesondere frankophonen West- und Nord-Afrika. Aus Deutschland waren außer uns und der Rosa-Luxemburg-Stiftung nur eine GEW-Gruppe präsent. Es waren viel weniger NGOs da, als ich erwartet hatte, dafür eine Unzahl von lokalen oder regionalen Basis-Organisationen. Die beherrschenden Themen haben wir schon genannt.
Nach meinem subjektiven Empfinden gab es neben der auffälligen Präsenz anti-patriarchaler Forderungen eine starke anti-kapitalistische bzw. anti-“neo-kolonialistische“ Stimmung und eine große Begeisterung für die revolutionären Prozesse in Tunesien und Ägypten. Am vorletzten WSF-Tag gab es eine Solidaritäts-Demonstration zur ägyptischen Botschaft, und am letzten Tag war der Rücktritt Mubaraks – da war der Jubel bei der Abschluss-Veranstaltung riesengroß.
Im Unterschied zum WSF in Nairobi wurden keine Eintrittsgelder verlangt, das hat vielleicht auch zur starken Beteiligung kleiner Basis-Gruppen beigetragen – was im Übrigen auch explizite Absicht des WSF-Vorbereitungs-Komitees war. So wie unsere Karawane im Kleinen hat bestimmt auch das WSF im Ganzen zur weiteren Vernetzung der afrikanischen grass-root-Gruppen beigetragen.
A.: Wir haben während des WSF eine Demonstration zum FRONTEX-Büro in Dakar organisiert. Dabei haben sich ziemlich viele Leute angeschlossen und die Demo war am nächsten Tag auch Haupt-Thema der täglich erscheinenden WSF-Zeitung. Unsere Veranstaltungen u.a. zur Situation von Flüchtlingen in Europa, zu FRONTEX, zum Zusammenhang von Migration und der Zerstörung bäuerlicher Lebensgrundlagen waren gut besucht, die Zeit war aber immer zu kurz, um näher ins Gespräch zu kommen. Wir haben auch noch eine Organisation von Abgeschobenen und deren Familienangehörigen in Hann Pecheur besucht. Dieser Stadtteil Dakars liegt direkt am Meer und ist von der Fischerei geprägt. Von dort aus sind viele der Pirogen zu den Kanarischen Inseln gestartet.
Ich muss dazu sagen, dass wir alle schon etwas geschafft waren von den Strapazen der Karawanen-Fahrt, als wir in Dakar angekommen sind. Viele, ich selbst auch, hatten wegen der Smog-Luft in Bamako und dem vielen Sand und Staub entzündete Atemwege, fast alle hatten ein paar Kilo abgenommen. Ich glaube, dass auch deswegen die meisten von uns nicht mehr so viel Energie hatten, möglichst viel von dem WSF-Programm mit zu kriegen.
1izindaba, Nachrichten vom 01.03.2010 und 12.06.2010
2Gegenwärtig ist wegen des Kriegs in Libyen unklar, ob das Projekt fortgesetzt wird.
3Brasilien, Russland, Indien, China
4Libysche Staatsfirmen haben in Bamako ein komplett neues Regierungsviertel und riesige Hotel-Komplexe gebaut, für die die dort zuvor lebenden Menschen vertrieben wurden.