In allen Regionen Afrikas eskaliert der Krieg um Lebensmittel
Wer in diesem Frühling die Weltnachrichten nach Meldungen aus Afrika absucht, wird vor allem auf zwei Kriege stoßen: in Cote d’Ivoire und in Libyen. Weit weniger Schlagzeilen macht ein Krieg, der schon viel länger andauert, viel mehr Opfer fordert und aktuell wieder eskaliert: die Rede ist hier vom Krieg um Lebensmittel (Food Wars), wie ihn der Philippinische Soziologe Walden Bello genannt hat.
Laut dem Welthungerindex des International Food Policy Research Institute (IFPRI) hatten 2010 eine Milliarde Menschen nicht genug Nahrung, etwa einer weiteren Milliarde mangelte es an wichtigen Mineralien oder Vitaminen. Mit Ausnahme von Jemen und Haiti liegen alle Länder, in denen die Situation als „alarmierend“ gilt, in Afrika südlich der Sahara.
Seit 2010 hat sich die Lage weiter verschärft: Die Lebensmittelpreise sind dramatisch gestiegen: Wesentliche Grundnahrungsmittel haben jetzt im Schnitt und inflationsbereinigt einen höheren Preis als im Krisenjahr 2008. Damals erreichten die Weltmarktpreise den höchsten Stand seit 30 Jahren. Der Maispreis ist heute doppelt so hoch wie vor einem Jahr, der Weizenpreis um 84% höher.
Während die steigenden Preise für Metropolenbürger_innen vielleicht ärgerlich sind, aber ansonsten wenig Auswirkungen haben, bedeuten sie für viele im Trikont Hunger und Tod. Laut Weltbank sollen allein seit 2010 zusätzlich 68 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gefallen sein.
Gründe für die Preisstegerungen
Der menschengemachte Klimawandel verbunden mit dem Klimaphänomen „El Niño“ führte zu Klimakatastrophen und Ernteausfällen: Überschwemmungen in China, Indien, Pakistan, Kanada, Australien und Brasilien, gleichzeitig extreme Dürre in Teilen Afrikas und Südamerikas. In Somalia soll es die schlimmste Dürre seit über 80 Jahren sein. In Russland und der Ukraine kamen noch Waldbrände hinzu.
Der Rückgang der Erntemengen auf Grund des Klimawandel reicht aber nicht aus, um das dramatische Ansteigen der Preise zu erklären. Weitere Gründe sind die zunehmende Nachfrage wegen Agrosprit und weltweiter Expansion der Fleisch- und Fischindustrie, Lebensmittelengpässe aufgrund von Landkonflikten und Exporten sowie Spekulationen.
Durch die hohen Erdölpreise wird Agrosprit zunehmend attraktiv. Zusätzlich steigt die Nachfrage durch die (hoffentlich scheiternde) Einführung von E10 (Benzin mit 10% Agrospritanteil) in der EU. Laut US-Landwirtschaftsministerium erhöhte sich der Anteil der Weltmaisproduktion, der für Sprit drauf geht, innerhalb von zwei Jahren von 31 auf 40% (siehe: http://izindaba.info/).
Veränderte Konsumgewohnheiten neuer Mittelschichten vor allem in den emerging markets Arabiens und der sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) führen zur weltweiten Expansion der Fleischindustrie. Während Subsistenzbäuer_innen durch Viehhaltung zusätzliche Ressourcen nutzen (vor allem Haushalts- und Agrarabfälle und semi-arides Land, das für nachhaltigen Ackerbau nicht nutzbar ist), verbraucht die Fleischindustrie Unmengen an Futtermittel und Treibstoff, die den Märkten entzogen werden.
Hochsubventionierte Fleischreste werden wiederum spotbillig auf die afrikanischen Märkte geworfen, so kostet in Benin z.B. ein Kilo Geflügel aus der EU in Benin umgerechnet 1,40€, Fleisch aus lokaler Produktion kostet mindestens 2,10€. Möglich ist das Preisdumping, weil aus Europa in der Regel Fleischabfälle verkauft werden, die die Schlachthöfe sonst wegwerfen, wie Hals, Flügel und Innereien von Geflügel. Das Dumping von Fleischabfällen bedroht nicht nur einheimische Produzent_innen, sondern auch die Gesundheit der Konsument_innen, weil die Kühlkette nicht gesichert wird.
Zusätzlich verknappt die Überfischung der Meere durch ausländische schwimmende Fischfabriken das Lebensmittelangebot in den armen Ländern. Und nicht nur in Somalia reduziert das Verklappen von giftigem Müll die Bestände.
Zur Befriedigung der größeren Nachfrage nach Lebensmitteln für die Treibstoff- und Fleischherstellung bedienen sich internationale Konzerne ungeniert auf den Äckern der Armen: in vielen Ländern ist die Nahrungsmittelversorgung prekär, weil der Export von Agrargütern (Cash-Crops) lukrativer ist, als der Vertrieb von Lebensmittel auf dem einheimischen Markt. Gerade während Hungersnöten steigen oft die Lebensmittelexporte, weil die einheimische Bevölkerung dann weniger Geld hat.
Verschärft wird die Situation durch das anhaltende Landgrabbing, d.h. dem Verkauf von kommunalem Land an ausländische Investoren für die Exportproduktion von Cash-Crops, Mining oder Infrastruktruprojekte.
Hinzu kommt, dass die im Rahmen der Finanzkrise von den Staatshaushalten auf die Banken übertragenden Milliardenwerte nicht einfach verschwunden sind, sondern profitable Anlagemöglichkeiten brauchen. Und da drängt sich angesichts der längst noch nicht überwundenen Weltwirtschaftskrise die Spekulation mit Rohstoffen und vor allen Nahrungsmittel auf: Klimawandel, Agrosprit, Fleischindustrie und Landgrabbing gelten als Garanten für eine anhaltende Knappheit an Lebensmitteln. Das ist gut für’s Geschäft.
Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika
Die Antwort, die der Imperialismus den Hungernden anbietet heißt „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA). Ihre Angebote – mehr Markt, teure technologische „Lösungen“ wie Kunstdünger, genetisch verändertes Saatgut und chemische Pflanzenschutzmittel – sind eher geeignet, auch die Elenden noch auszubeuten, als den Hunger zu besiegen. Die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung, von der stets gesprochen wird, bedeutet in der Praxis, dass diese als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden (z.B. durch Food for Work Programme). So lehnen nach einer Studie des Institute für Enviroment and Developement (IIED) in London die meisten afrikanischen Bäuer_innen die Angebote der AGRA ab. Sie wollen lieber heimisches Saatgut und angepasste Technologien nutzen, anstatt ihr knappes Geld imperialistischen Konzernen in den Rachen werfen. Und vor allem ihr kommunales Land nicht wegen Kapitalinteressen verlieren.
Die Antwort, der Armen heißt Revolte.
Inspiriert von den Revolutionen in Arabien, vor allem in Tunesien und Ägypten erschallt auch im subsaharischen Afrika überall der Ruf: „Wir werden den ägyptischen Weg, wir werden den tunesischen Weg gehen!“ Wie im Maghreb sind die Wut auf die sozialen Verhältnisse, die Zurückweisung staatlicher Macht (statt einen Anteil daran zu fordern), internationale Solidarität, die Betonung individueller Freiheit und direkter Demokratie immer wiederkehrende Motive der Aufständischen.
Seit Februar wird Burkina Faso durch „Proteste des Zornes“ für bessere Lebensbedingungen und gegen Repression erschüttert (siehe: http://izindaba.info/). Alle Sektoren der Gesellschaft, Schüler_innen und Student_innen, Händler_innen, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, politische Opposition und selbst Teile von Polizei und Militär sind beteiligt.
Am 16. April ging die Polizei in der Hauptstadt Ouagadougou mit Tränengas gegen protestierende Händler_innen vor, nachdem die Zentrale der Regierungspartei von Demonstant_innen abgefackelt worden war. Zwei Wochen später wurde 75 km weiter westlich in Koudougou das Haus des Bürgermeisters, Teile des Marktes und das Hauptquartier des Militärs von wütenden Händler_innen niedergebrannt. Die unteren Ränge der Armee meuterten Mitte April in mehreren Städten gegen Vorgesetzte und den Präsidenten. Und am 27 und 28. April protestierten die Bullen mit Warnschüssen für mehr Geld.
Die Revoltierenden rufen „Blaise = Ben Ali“ (gemeint ist Präsident Blaise Compaoré) „Tunesien ist in Koudougou“ oder „Burkina wird sein Ägypten bekommen“. Insgesamt wurden bei den Protesten mindesten sieben Menschen von Repressionskräften getötet.
Die Entlassung des Armeechefs, eine nächtlichen Ausgangssperre in Ouagadougou, die Ernennung eines neuen Premierministers, die Bildung einer neuen Regierung, nichts kann die Gemüter bislang beruhigen, die Proteste gehen weiter.
Ebenfalls seit Februar gehen in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott regelmäßig vor allem junge Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Am 25. April riefen sie zum „Tag des Zorns“ auf. Die Polizei trieb die Demonstration mit Tränengas und Schlagstöcken auseinander. Zahlreiche Demonstrant_innen wurden verhaftet. Auch in der zweiten großen Stadt des Landes, Nouadhibou, wurde demonstriert.
Am folgenden Tag wurden in der Bergbaustadt Zouerat, ca. 600 km nördlich von Nouakchott, mehrere Menschen bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Tagelöhnern verletzt. Die Polizei hatte ein Sit-in der Tagelöhner für bessere Arbeitsbedingungen, Festanstellungen, höhere Gehälter und Sozialversicherungen angegriffen.
Im Nachbarland Senegal haben ständige Stromausfälle und steigende Lebensmittelpreise eine wachsende Zahl an Demonstrant_innen gegen ihre Regierung aufgebracht. Anlässlich einer Massendemonstration wurde der Zentrale Platz der Hauptstadt Dakar in „Tahrir“-Platz umbenannt.
Ende März löste die Polizei mit Tränengas eine Demonstration von senegalesischen Fischer_innen auf, die seit Wochen gegen die Vergabe von Fanglizenzen an ausländische Trawler kämpfen.
Im Sudan gibt es immer wieder Versuche, an die Ereignisse im Nachbarland Ägypten anzuknüpfen, Mehrere Demonstrationen nicht nur in der Hauptstadt Khartum wurden von Sicherheitskräften aufgelöst. Am 1.4. demonstrierten rund 800 Bäuer_innen in der Kleinstadt Fudasi (Bundesstaat Gezira) gegen die Enteignung von kommunalem Agrarland (siehe: http://izindaba.info/).
Das Geschäftszentrum der Provinzhauptstadt Manzini in Swaziland wurde am 12. April, durch Straßenschlachten zwischen Repressionskräften und Demonstrant_innen erschüttert. Anschließend kam es zu Massenfestnahmen. Für den 12.-14. April hatte die Bewegung zu „Tagen des Zorns“ aufgerufen. (siehe: http://izindaba.info/). In Südarika wurde aus Solidarität versucht, die Grenze zu Swaziland zu blockieren.
In Uganda lösten Militärs und Polizei mehrere Demonstrationen gegen die hohen Sprit- und Lebensmittelpreise mit Schlagstockeinsatz und Tränengas auf. Mindestens vier Menschen wurden getötet, hunderte verhaftet. Dem Oppositionsführer Kizza Besigye wurde während einer Demo in den Arm geschossen, er wurde mehrmals verhaftet.
Am 13. April wurde die Bürgermeisterin der malischen Hauptstadt Bamako bei einem Aufstand fast gelyncht. Ihr Wagen wurde vollständig abgebrannt.
In Südafrika kämpft das weitverzweigte „Poor Peoples Movement“ gegen Armut und Verteibungen. Auf einer Demonstration Mitte April in Ficksburg wurde Andries Tatane von Bullen ermordet.
In der sambischen Provinzhauptstadt Mansa lief Mitte April ein Aufstand aus dem Ruder: Nachdem mehrere Geschäfte geplündert wurden, wurden ein kongolesischer Kredithai und zwei Sambier mit Autoreifen verbrannt. Ein weiterer Geschäftsmann konnte entkommen. Die Polizei nahm 70 Aufständische fest.
Am 18. April begann in Botswana ein mehrere Tage anhaltender Streik von 90% der Staatsangestellten für eine Lohnerhöhung von 16%.
Am nächsten Tag wurde in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und weiteren Städten gegen steigende Treibstoff- und Lebensmittelpreise demonstriert (siehe: http://izindaba.info/).
Auch in anderen afrikanischen Staaten ist die Angst der Herrschenden vor tunesischen und ägyptischen Verhältnissen groß:
In Äquatorial-Afrika wurden die 1.Mai-Feierlichkeiten aus Angst vor Protesten abgesagt.
Die kamerunische Regierung hat den Mobilfunkbetreiber MTN aufgefordert, den SMS Dienst einzustellen, der sich in Nordafrika als mächtiges Instrument der Protestbewegung herausstellte. Erst kürzlich hat MTN in Kamerun die Möglichkeit geschaffen, über SMS an Twitter Nachrichten zu kommen. Gleichzeitig kündigte die Regierung ein Beschäftigungsprogramm an, um der Unzufriedenheit zu begegnen.
Als in Angola der Ruf nach Reformen laut wurde, reagierten die Regierung mit einer Verhaftungswelle.