Rezension zu ‚Afrika vor dem großen Sprung‘ von D. Johnson
Politischen Sachbüchern über Kontinente, Länder oder Regionen mangelt es nicht selten daran, dass die Leser_in angesichts der Fülle präsentierter Fakten am Ende den Überblick über das Gesamte verloren hat – vorausgesetzt, sie/er hat überhaupt alles gelesen. Beim ersten Buch des TAZ – Korrespondenten und Afrika-Spezialisten D. Johnson über den Kongo ging es mir so. Angesichts von zig Namen irgendwelcher bewaffneter Gruppen samt ihrer Warlords sowie des geballten Wissens, das der Autor über die Leser_in ausschüttete, blieb nach dem ‚Durcharbeiten‘ der Lektüre nur noch die Befriedigung, es irgendwie geschafft zu haben. Der rote Faden allerdings oder – anders ausgedrückt – das, was mir Johnson mit diesem Buch wirklich sagen wollte, hatte sich in dem Wust der Informationen verloren.
Seinem neuen im Februar dieses Jahres herausgekommenen Buch Afrika vor dem großen Sprung kann dieser Vorwurf wahrlich nicht gemacht werden. Auf knapp 100 Seiten präsentiert er die jüngere Entwicklungsgeschichte der Eliten Afrikas in einer Art und Weise, die sich mühelos ‚weglesen‘ lässt und schnell bis zum Ende der Lektüre führt. Der auf die kapitalistische Entwicklung Chinas Bezug nehmende Titel ist dabei nicht zufällig gewählt. Johnson spricht analog zu den asiatischen Tigern von den afrikanischen Löwen, die schon vor der Weltwirtschaftskrise 2008 Wachstumsraten bis zu 5,8 % aufzuweisen hatten und denen auch danach mit für 2010 prognostizierten Werten von über 5 % eine schnelle Erholung zu gelingen scheint. Weitere Anzeichen für den großen Sprung sieht er in der beeindruckenden Reduktion der Auslandsverschuldung. Diese sind in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt von 63 % im Jahre 2000 auf 25 % in 2010 gesunken, womit die meisten afrikanischen Staaten über ’sanierte‘ Staatsfinanzen verfügen. Als Taktgeber für diesen Prozess erweisen sich die veränderten Terms of Trade, die sich nach Jahren stetiger Verschlechterung durch den asiatischen Rohstoffhunger angeblich zum Positiven verändern.
Die Grundlagen für die Gründerzeit, in der Johnson den Kontinent wähnt, glaubt er allerdingsim Mentalitätswandel der afrikanischen Eliten verorten zu können. Es ist die Zeit zwischen 1979 und 1997, in der ein Politikwechsel eine neue Staatenordnung auf den Weg brachte. Historische Marksteine dieser Entwicklung bedeuteten die bewaffnete Vertreibung Idi Amins aus Uganda im Jahre 1979, die Machtergreifung Musevenis dort 1986, die Freilassung Mandelas aus der Haft 1990, die demokratische Machtergreifung des ANC inSüdafrika sowie die Überwindung des Genozids in Ruanda durch den Sieg der RPF-Rebellen 1994 und letztendlich die Vertreibung Mobutus durch die bewaffnete Rebellion im Kongo 1997.
Anders als in der Zeit der Entkolonialisierung, als die Regime einfach die kolonialen Strukturen übernommen hatten, begann mit dem Sturz Idi Amins „Afrikas 2. Unabhängigkeit“, weil von da an die afrikanischen Regierungen, „befreit von den Referenzen an außerafrikanische geopolitische Konflikte und an die Kämpfe gegen koloniale Fremdherrschaft“ (S. 42) ihre Spielräume zur Umgestaltung des eigenen Kontinents zu nutzen begannen. Dabei griffen sie und die bewaffneten Organisationen auf die in den verschiedenen Kämpfen aufgebauten Verbindungen zurück und agierten, so die Analyse Johnsons, über Staatsgrenzen hinweg gemeinsam, um mit der nachhaltigen Veränderung der politischen Ordnung des Kontinents gleichzeitig eine „Mobilisierung der gesellschaftlichen Kräfte“ (S. 54) zu initiieren. Das neue mentale Selbstbewusstsein ist die Basis für den wirtschaftliche Erfolg. Große Mobilfunkkonzerne wie die im Sudan gegründete Celtel oder die südafrikanische MTN, der nigerianische Ölkonzern Oando – als erstes afrikanisches Unternehmen außerhalb Südafrikas an der Börse in Johannisburg notiert – der Boom Angolas oder der seit der WM 2010 deutlich verstärkte Handelsaustausch zwischen Asien und Südafrika – all das sind für Johnson Anzeichen dafür, dass Afrika auf dem Sprung in das kapitalistische Zeitalter ist.
Doch, so fragt sich mensch am Ende des Buches: wem nutzt das? Johnson antwortet darauf mit dem Verweis auf die wachsende Riege mächtiger Wirtschaftsmagnaten schwarzafrikanischer Herkunft. Diese werden nicht nur immer reicher, ihnen traut der TAZ-Korrespondent auch zu, für die „Verankerung einer demokratischen politischen Kultur“ (S.88) zu sorgen. Der Großteil der Bevölkerung, die für den Sprung ihrer Eliten zahlen, weil sie durch Krieg, über den Verkauf von Bodenschätzen, dem Landgrabbing oder anderen das Bruttoinlandsprodukt steigernden Investitionen noch ihre letzten sich aus der Subsistenz nährenden Ressourcen verlieren und die steigenden Lebensmittelpreise nicht mehr zahlen können, kommt bei ihm dagegen nicht vor. Johnson geht davon aus, dass ein kapitalistisch entwickeltes Afrika – wie dereguliert auch immer – eine Verbesserung der Lebensumstände für viele seiner Bewohner_innen garantiert. Wie fragwürdig diese Annahme geworden ist, erfährt gerade die Bevölkerung im südlichen Teil der Europäischen Union. Die Bewohnern_innen der Townships Südafrikas haben sich von solchen Hoffnungen schon vor längerer Zeit verabschiedet.
Auch die große afrikanische Demokratiebewegung Anfang der 90iger Jahre oder die Herausbildung einer vielfältigen sozialen Protestbewegung im letzten Jahrzehnt haben für den Autor anscheinend nicht oder nur marginal zur Verankerung einer demokratischen Kultur beigetragen. Denn sie finden weder in diesem Zusammenhang noch sonst Erwähnung.
So ist Afrika vor dem großen Sprung zwarflott gelesen, erweist sich aber in seiner ideologischen Eindimensionalität als Ärgernis – insbesondere, wenn davon auszugehen ist, dass ein profunder Afrika-Spezialist wie Johnson von dem weiß, was er unterschlägt.
Afrika vor dem großen Sprung
106 Seiten Preis: 10.-Euro
Hg.: Patrizia Nanz Politik bei Wagenbach
Berlin 2011 ISBN 978-3-8031-2656-6