Zum Inhalt springen

“ … die Bevölkerung hat die Legitimität unserer Handlung verstanden“

Interview mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden der im Gesundheitswesen Beschäftigten in Togo zum Hintergrund ihrer erfolgreichen Streik-Aktionen im Juni, über die wir mit Nachricht vom 6.7.2011 kurz berichteten.

1. Kannst du dich und eure Organisation kurz vorstellen?

Mein Name ist David Ekoué Dosseh, ich bin Professor für allgemeine Chirurgie und praktizierender Chirurg am CHU1 Tokoin in Lomé.Daneben bin ich Vorsitzender der SYNPHOT, Nationale Gewerkschaft der togoischen Krankenhausärzte; anfänglich für die Ärzt_innen gegründet hat sich unsere Gewerkschaft dahin weiter entwickelt, alle Gesundheitsarbeiter_innen aufzunehmen.

2. Was sind die Zielsetzungen eurer Gewerkschaft?

Unsere Gewerkschaft wurde im Jahr 2005 zur Schaffung einer Struktur gegründet, um für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gesundheitsarbeiter_innen zu kämpfen. Wir haben den Regierungschef zwei Mal getroffen genauso wie alle „Mieter_innen“ des Premierminister-Amtes2, um sie dazu zu bewegen, sich mit unseren Vorstellungen von einem besseren Gesundheitswesen, die wir als Fachleute auf diesem Gebiet haben, auseinander zu setzen.

Denn in diesem Sektor existieren zahlreiche Missstände:

– beim Personal: viele Bedienstete im Gesundheitsbereich sind demotiviert und der Migrationsfluss von Spezialist_innen ins Ausland ist gravierend; sehr viele Fachleute arbeiten im Ausland, während die Bevölkerung sie zur Verbesserung der Versorgungsqualität hier bräuchte.

– die unangemessene und unzureichende Infrastruktur: der Mangel an Infrastruktur und an Ausrüstung ist himmelschreiend, selbst wenn der Staat kürzlich 10 Mia. Franc CFA3 zur Sanierung der Gesundheitszentren zur Verfügung gestellt hat.

– der Nichtzugang zu Gesundheitsdienstleistungen aus finanziellen und manchmal auch geografischen Gründen für die Mehrheit der Bevölkerung, die in großer Armut lebt (über 60% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze). In den Versorgungsstrukturen müssen alle Kosten von den Nutzer_innen selbst getragen werden. Bevor mensch sich behandeln lassen kann, muss alles Notwendige selbst gekauft werden, sogar in Notfällen (Handschuhe, Spritzen, Kompressen, Antiseptika, Lösungen …). Bei Noteinsätzen passiert es nicht selten, dass mensch die Kranken während Stunden oder gar Tagen weiter leiden sieht – ganz einfach weil keine/r der Familienangehörigen in der Lage ist, die für die Behandlung verlangte Geldsumme zusammen zu bringen. Deshalb haben wir versucht, der Regierung unsere Vorstellungen nahe zu bringen, auch wenn wir als Gewerkschaft zuerst darauf ausgerichtet sind, die Situation des Personals zu verbessern.

3. Was waren eure aktuellen Forderungen, was habt ihr erreicht?

Konkret haben wir einen Forderungskatalog mit vier Punkten aufgestellt:

1. Punkt: Annahme eines besonderen Statuts für die Gesundheitsarbeiter_innen: bereits im Jahr 2006 haben wir mit dem Staatschef die Notwendigkeit der Ausarbeitung eines solchen Statuts diskutiert, in der angemessene Bedingungen für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Ausübung der medizinischen und hilfsmedizinischen Berufe festgelegt werden und was auch eine Politik darstellen würde, mit der qualifiziertes medizinisches Personal gehalten werden könnte.

Im Dezember 2008 haben wir eine Vereinbarung mit der Regierung zur Einsetzung eines Komitees unterzeichnet, das damit beauftragt war, ein solches Statut auszuarbeiten; während wir darauf gewartet haben, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, sind wir mit der Regierung überein gekommen, dass jede/r Gesundheitsarbeiter_in bis zum Inkrafttreten eine jährliche Zusatzzahlung erhält.

Seit der Vereinbarung von 2008 hat das Komitee seine Arbeit gemacht, aber die Annahme des Statut-Projektes wurde immer weiter heraus gezögert.

2. Punkt: die Auszahlung der Jahres-Prämie für 2010.

3. Punkt: die Installation von Internetanschlüssen in den drei Universitätskrankenhäusern Togos: die Gesundheitszentren, die zur Universität gehören, sind ohne Internetanschluss stark beeinträchtigt, Forschung und Lehre überhaupt durchführen zu können.

4. Punkt: eine Wirtschaftsprüfung der (über 600) Gesundheitszentren: im Jahr 2008 haben wir nach einem Streik eine kleine Erhöhung der Zulage für den Bereitschaftsdienst durchgesetzt, und zwar 1.000 bis 3.000 F CFA für das medizinische Hilfspersonal und 1.000 bis 5.000 F CFA für die Mediziner_innen. Aber viele Gesundheitszentren missachteten die Bestimmungen des entsprechenden ministeriellen Erlasses von 2008 zur Formalisierung dieser Erhöhung. Wir haben verlangt, dass alle Gesundheitszentren einer Finanzprüfung unterzogen werden, um die Gründe herauszufinden, warum die Zuschläge nicht in der richtigen Höhe ausgezahlt wurden, damit Korrekturmaßnahmen entwickelt werden können.

Am Abend des 22. Juni 2011 haben wir eine Vereinbarung unterzeichnet, mit der einige Bestimmungen des von uns verlangten Statuts ab Januar 2012 in Kraft treten sollen (Risiko-Zulage von 3.000 bis 39.000 F CFA für Mediziner_innen ; von 3.000 bis 32.000 F CFA für das medizinische Personal; von 3.000 bis 26.000 F CFA für das Unterstützungspersonal; eine Spezialist_innen-Prämie von 39.000 bis 59.000 F CFA für Mediziner_innen). Die Annahme des Statuts in seiner Gesamtheit ist aufgeschoben und wird nach der Umsetzung einer neuen allgemeinen gesetzlichen Regelung für den öffentlichen Dienst bearbeitet. Darauf warten wir seit der letzten Sitzung des entsprechenden Ausschusses im Dezember 2009.

Mit der Auszahlung der Jahres-Prämie für 2010 wurde bereits begonnen, allerdings nur zum Teil. Bis heute wurden nur die an den drei Universitätskliniken Beschäftigten ausgezahlt ebenso die Beschäftigten in zwei der sechs Krankenhäuser und in den Gesundheitszentren in zehn von 35 Distrikten Togos. Falls die Regierung weiterhin die Auszahlung hinaus zögern sollte, sind sehr bald weitere Aktionen vorgesehen.

Die Wirtschaftsprüfung der Gesundheitszentren soll am 1.August beginnen.

4. Wie habt ihr es geschafft, eure Forderungen durchzusetzen?

Wenn wir es geschafft haben, dass die Regierung nachgeben musste, dann ist das meiner Meinung nach darauf zurück zu führen, dass wir uns für ein gemeinsames Interesse vereint und mobilisiert haben. Außerdem hat die Bevölkerung die Legitimität unserer Handlung verstanden und uns trotz der enormen Nachteile – keine ärztliche Versorgung während mehrerer Wochen – unterstützt. Wir haben bewiesen, dass unser Ziel darin bestand, unabhängig von politischen, ethnischen oder beruflichen Kategorien für alle Gesundheitsarbeiter_innen zu kämpfen.

5. Seid ihr von den Sicherheitskräften bedroht worden?

Drohungen? Die hat es gegeben. Aber sie wurden nicht direkt ausgesprochen, sondern über Mittelsmänner. Ich muss gestehen, dass ich angefangen habe, mir Sorgen zu machen, als Offiziere der Armee Kontakt zu einem ehemaligen Minister aufgenommen haben, um ihm mitzuteilen, dass er „Probleme“ bekomme, wenn der Generalsekretär des SYNPHOT Dr. Walla, der aus dem selben Ort im Norden des Landes stammt wie der ehemalige Minister, nicht aufhöre, unsere Aktionen zu unterstützen. Dass Offiziere sich erlauben, Drohungen direkt auszusprechen, heißt für mich, dass die Situation wirklich ernst war. Man hat uns gesagt, dass gewisse „Aktionen“ verschiedenster Art gegen uns vorbereitet worden seien, die als „Unfall“ erscheinen: ein Raubüberfall von Einbrechern, eine Vergiftung bei einer Einladung … Die Drohung könne noch mehrere Monate danach ausgeführt werden …

6. Wie siehst du den Einfluss der revolutionären Ereignisse in Tunesien und Ägypten auf die sozialen Auseinandersetzungen in Togo?

Die sozialen Konflikte in Togo existierten bereits vor der Revolution in den Ländern Nordafrikas. Im Jahr 2005 gab es hunderte Tote aufgrund sozio-politischer Unruhen. Trotz all dieser Opfer ist die Militär-Macht – auch wenn der derzeitige Präsident ein Zivilist ist – immer noch da. Die internationale Gemeinschaft scheint sich nicht viel für den Fall Togos zu interessieren. Viele Togoer_innen sind entmutigt und hoffen nicht mehr wirklich, dass ein Regime-Wechsel möglich ist. Aber es ist sicher, dass von den Togoer_innen wahrgenommen wird, was in Nordafrika passiert ist: eine grundlegende Veränderung ist trotz großer Hindernisse möglich, wenn ein Volk entscheidet, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen. Dieses Bewusstsein kann dem Kampf des Volkes um Freiheit eine neue Dynamik einhauchen.

7. Gibt es etwas, was du unseren Leser_innen gerne sagen willst?

Wenn ich etwas sagen möchte, dann das: die Diktaturen existieren heute noch wegen der passiven und/oder aktiven Komplizenschaft der westlichen Mächte. Genauso wie die Deutschen verlangen die Togoer_innen nach demokratischen Verhältnissen und sie wünschen sich, dass die internationale Gemeinschaft sich ein wenig mehr einbringt, um Togo dabei zu helfen, dieses Ziel zu erreichen. Wir haben schlechte Führungskräfte, die bereit sind, das Blut der Togoer_innen zu vergießen, um an der Macht zu bleiben. Wir müssen für unsere Freiheit kämpfen. Wenn Ihr denkt uns helfen zu können, tut das, aber lasst nicht zu, dass die westlichen Führungen weiterhin diese Diktaturen unterstützen, um ihre fragwürdigen Interessen zu bewahren.

Vielen Dank für das Gespräch

1 Universitätskrankenhaus

2 entspricht dem Bundeskanzleramt

3 etwa 15,25 Mio. Euro / 1.000 F CFA = 1,50 €