Geschichte einer Flucht aus Libyen
Am 13.01.2012 sprach izindaba in Sokodé, einer Stadt im Norden Togos, mit Herrn Diallo, der ein paar Jahre ohne Papiere in Libyen gelebt und gearbeitet hatte. Herr Diallo ist 45 Jahre alt, lebt jetzt wieder in Sokodé im Stadtteil Colondé, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Er wird von der Association Togolaise des Expulsés (ATE, Vereinigung der togoischen Abgeschobenen) betreut.
Wann sind Sie nach Libyen gegangen und wie war das Leben dort für Sie?
Ich war bereits einmal 1987 in Libyen, um von dort aus nach Europa zu kommen. Das hat nicht geklappt und ich bin wieder zurück nach Togo.
Das zweite Mal bin ich 2007 ohne meine Familie nach Libyen, um dort zu arbeiten. Ich bin in der Stadt Sabah im Süden des Landes gelandet. Dort gibt es einen Stadtteil namens Madiah, wo die MigrantInnen in Ghettos lebten, aufgeteilt nach Nationalitäten – aus Togo, Ghana .. . Bei uns waren aber auch MigrantInnen aus Benin dabei. Wir habe zusammen gewohnt, Alleinstehende und Familien. Und weil die Situation insgesamt dort besser war als in Togo, habe ich meine zwei jüngeren Brüder nachgeholt.
Eigentlich bin ich Schneider, aber ich habe dann mit einem anderen aus unserem Ghetto bei einer libyschen Firma als Maler gearbeitet. Unser Chef war ganz in Ordnung. Er hat uns morgens mit seinem Auto zur Arbeit abgeholt. Wir hatten alle keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Deswegen war es sicherer, wenn er uns mit dem Auto mitgenommen hat, dadurch wurden wir nicht so leicht kontrolliert.
Unser Chef hat uns korrekt bezahlt und auch oft zu Essen gegeben.
Viele von den Frauen aus unserem Ghetto haben versucht, mit ambulantem Straßenverkauf Geld zu verdienen, z.B. durch den Verkauf von Früchten. Sie haben das aber immer mit der Angst getan, kontrolliert und festgenommen zu werden.
Wie war das mit dem Rassismus gegenüber subsaharischen AfrikanerInnen?
Es gab nicht nur Kontrollen durch die libyschen Sicherheitskräfte, oft wurden wir auch von „Briganten“ (Straßenräuber) überfallen, die uns genauso wie die Soldaten alles Geld und was wir sonst an Wertgegenständen dabei hatten, unter Androhung von Gewalt abgenommen haben.
Bei einem solchen Überfall wurde einer meiner beiden Brüder umgebracht.
Vor dem Krieg gab es in der libyschen Bevölkerung sowohl solche, mit denen wir gut ausgekommen sind, mit denen mensch sich normal unterhalten konnte und die nett waren, und solche, die distanziert bis rassistisch waren. Manchmal wurden wir sogar von Kindern rassistisch beschimpft. Dagegen konnten wir nichts machen, weil wir sonst Probleme bekommen hätten.
Während des Krieges mussten sich die LibyerInnen erst mal um sich selbst kümmern, viele sind selbst in die Nachbarländer wie z.B. nach Tunesien geflüchtet; viel Solidarität konnten wir da nicht erwarten. Wir blieben uns selbst überlassen.
Wie hat sich der Krieg auf Ihre Situation ausgewirkt?
Schlimm waren nach dem Ausbruch des Krieges die Raubüberfälle und Morde von kämpfenden Gruppen. Wir konnten meist nicht unterscheiden, ob das Gaddafis Leute waren oder welche von den Rebellen. Eigentlich war die Mehrheit von uns der Meinung, dass der Krieg bald vorüber sein würde und wollte lieber abwarten und in Libyen bleiben. Für mich und andere war die dauernde Angst vor Raubüberfällen und die damit verbundenen Gefahr, schwer verletzt oder getötet zu werden der Hauptgrund, weswegen wir uns dazu entschieden, Libyen zu verlassen.
Einige machten sich in Richtung Europa auf, um mit einem Schiff nach Italien zu kommen. So auch mein zweiter Bruder. Ich habe bis heute nichts von ihm gehört. Andere in Richtung Benghasi. Soweit ich weiß, war es dort aber mit den Überfällen und Tötungen noch schlimmer, sowohl auf dem Weg dorthin wie auch in der Stadt selbst.
Einige blieben auch, weil sie meinten, die Rückreise durch den Sahel und durch Niger sei mindestens genauso gefährlich, womit sie nicht Unrecht hatten.
Wie war Ihre Flucht aus Libyen?
Nachdem ich mich Ende März/Anfang April 2011 aufmachte, um nach Togo zurückzukehren, bekam unsere Gruppe in der Grenzregion zu Niger riesige Probleme mit marodierenden Tuaregs. Sie sprachen Zouagh, eine Berrsprache der Tuareg. Wir wurden von ihnen festgehalten, geschlagen und mit dem Tode bedroht. Sie zwangen uns, ihnen alles was wir dabei hatten, zu geben. Mein ganzes Geld und was ich sonst noch hatte, war danach weg. Dabei habe ich noch Glück gehabt. Denn andere, die nicht so viel Geld hatten, wurden nicht frei gelassen. Sie sollten – wie Geiseln – so lange festgehalten werden, bis Verwandte Geld schicken. Einer von uns wurde so lange geschlagen, bis er tot war. Das hat mich total erschüttert – zum ersten Mal in meinem Leben habe ich erlebt,dass ein Mensch neben mir umgebracht wird. Was aus den anderen, die festgehalten wurden, geworden ist, weiß ich nicht.
Wie geht es Ihnen jetzt in Togo?
Ich bin mit Nichts außer Hemd und Hose in Sokodé angekommen. Für meine Familie war das ein riesiger Schock. Nach meiner Rückkehr haben alle nur geweint, ich auch, ich war wie traumatisiert.
Zum Glück hatte ich vor meiner Abreise nicht alle meine drei Nähmaschinen verkauft, sondern eine behalten. Und ein noch größeres Glück im Unglück war, dass ich meine Frau und meine Kinder nicht nachgeholt hatte. Vor allem wenn ich an meine beiden Brüder denke. Wegen ihnen mache ich mir große Vorwürfe.
Von einer anderen Familie aus unserem Stadtteil habe ich gehört, dass sie vor ungefähr einem Monat wieder nach Libyen zurück gegangen ist. Sie hatte davor für ungefähr 10 Jahre lang da gelebt und war im Vergleich zu uns gut integriert – die Kinder gingen zur Schule und der Mann hatte einen festen Job. Ich habe aber noch nicht mitbekommen, wie es ihnen jetzt geht.
Für mich kann ich mir eine Rückkehr nach Libyen nach alldem überhaupt nicht vorstellen.
Ich arbeite jetzt wieder als Schneider und erhole mich langsam von meinen grausamen Erlebnissen.
Vielen Dank für das Gespräch.