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Lampedusa: Die Toten des Neo-Imperialismus

Am 04. Oktober 2013 ereignete sich das bislang größte Sterben von Flüchtenden an den Außengrenzen des Schengen-Europas.

Über 300 Kinder, Frauen und Männer, wohl überwiegend aus Eritrea, Somalia und Ghana, ertranken knapp zwei Kilometer von der Küste Lampedusas entfernt, nur 155 konnten gerettet werden.

Sie hatten gehofft, in einem Boot von Libyen aus Europa zu erreichen. Diese Route wird von Flüchtenden wieder vermehrt genutzt, seitdem der Weg über die Türkei durch den massiven Ausbau von Grenzschutzanlagen auf der griechischen Seite blockiert ist.

In der öffentlichen Auseinandersetzung wird die italienische Küstenwache dafür kritisiert, dass sie den in Seenot Geratenen viel zu spät zu Hilfe geeilt sei, obwohl sie doch mittels ihrer immer perfektionierteren Überwachungssysteme informiert gewesen sein müsste. Auch der Umstand, dass Fischer sich nicht trauten, die Ertrinkenden zu retten, weil sie befürchten müssen, wegen illegaler Fluchthilfe angeklagt zu werden, ist Teil des Skandals.

Rufe von offizieller Seite werden laut, die entsprechenden Gesetze zu ändern und humanitäre Lösungen für die Flüchtenden zu finden.

Davon übrig bleiben werden letzten Endes die Aufhebung der Kriminalisierung von Seenot-Rettung und der weitere Ausbau der Überwachungstechnologien im Kampf gegen die „kriminellen Schlepper“.

Grundsätzlich ändern wird sich nichts.

Der Neo-Imperialismus, verstanden als transnational organisiertes Macht- und Ausbeutungsgefüge, basiert auf der immer neuen Durchsetzung und flexiblen Aufrechterhaltung eines globalen Reproduktionsgefälles, d.h. auf extremen Unterschieden bei den durchschnittlichen Lohnhöhen, den sozialen Leistungen und Rechten.

Dieses abgestufte Reproduktionsniveau ist neben der Zerstörung vorheriger Reproduktionsstrukturen und der Modernisierung patriarchaler Verhältnisse Voraussetzung für die kapitalistische Globalisierung, also der Herstellung eines differenzierten Weltmarktes für Arbeitskraft. Entsprechend werden die materiellen Bedingungen dafür militärisch und mit allen sonstigen zur Verfügung stehenden technologischen und ideologischen Instrumenten gegen den rebellischen Eigensinn von Unten verteidigt.

Migrantische Bewegungen, die einer arm gemachten Gesellschaft, einer Gesellschaft mit niedrigem Reproduktionsniveau entfliehen, stellen dieses Gefälle praktisch infrage.

Die Grenzen zwischen Arm und Reich verlaufen heute weniger entlang von Staatsgrenzen wie zu Zeiten des „alten Imperialismus“, sondern zunehmend innerhalb der Gesellschaften. Doch fungieren die Großraumgrenzen nach wie vor als biopolitische Filter. Deswegen gilt: ein Visum zur Einreise in den Schengen-Raum ist vorgeschrieben für Menschen, die aus Nationalstaaten mit niedrigem Reproduktionsniveau stammen.

Weiterhin wird die überwiegende Mehrheit derjenigen, die die neo-imperialistischen Grenzziehungen nicht akzeptieren wollen, mit List und Ausdauer ihr Ziel erreichen. Und für ihre Strategien kann jede noch so unbedeutend scheinende humanitäre Aufweichung des Grenzregimes von existentieller Bedeutung sein.

Solange jedoch dem Imperativ der global organisierten „ewigen Akkumulation“ seinerseits keine Grenzen gesetzt werden, verhindern auch humanitärste Maßnahmen nicht, dass Flüchtende auf dem Schlachtfeld dieses sozialen Krieges ermordet werden.

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