Außerparlamentarische Opposition
Die Vereinigung Le Balai Citoyen wurde zunächst im Juni 2013 von dem bekannten Rapsänger Smockey und dem Radiomoderator und Sänger Sams’k le Jah gegründet, die sich offen – auch in ihren Musiktexten – zu den Idealen Thomas Sankaras bekennen. Schon bald bildeten sich landesweit Orts- bzw. Stadtteilgruppen. Zwar ist nicht bekannt, wie viele Mitglieder die Vereinigung hat, aber sie ist mit landesweit 100 Klubhäusern – 60 davon in der Hauptstadt Ouagadougou – gut organisiert. Nach den Vereinsvorschriften sind mindestens zehn eingeschriebene Mitglieder erforderlich, um einen cibal zu gründen. Die Vereinsstatuten wurden von dem ehemaligen Richter und Rechtsanwalt Guy Hervé Kam verfasst, der in den Tagen nach dem Umsturz wesentlich an den Verhandlungen mit dem Militär beteiligt war. Zum Selbstverständnis von Le Balai Citoyen gehört, keine Parteigründung anzustreben und keine individuelle Kandidatur im parlamentarischen System oder die Übernahme von Regierungsposten zuzlassen.
„Als wir Le Balai gründeten, haben die Leute sofort begriffen, was wir vorhaben, weil sie schon die Bewegung Y‘ en a marre aus dem Senegal kannten, das hat uns enorm geholfen,“ erklärt einer der Gründer.1
Zu den Hauptorganisatoren von Massenprotesten gehörte in den letzten Jahren die Menschenrechtsbewegung Mouvement Burkinabè des Droits de l’Homme et des Peuples, MBDHP. In Burkina Faso stand sie an der Spitze einer Demokratiebewegung und führte maßgeblich die Proteste nach der Ermordung des Journalisten Norbert Zongo. Der MBDHP ist in 27 Provinzen mit lokalen Büros vertreten.
Die im Februar 2008 gegründete Coalition contre la vie chère – CCVC (Vereinigung gegen das teure Leben) organisierte immer wieder Streiks und Demonstrationen gegen steigende Lebenshaltungskosten. Sie forderte mehr Preiskontrollen und ein stärkeres Engagement des Staates bei der Preisbildung. Bis zum Vorabend des Volksaufstandes vom 30.10.2014 veranstaltete die Bewegung vie chère umfangreiche Demonstrationen. Weitere für die Aufstands-Mobilisierung wichtige Organisationen waren das Collectif anti-référendum – CAR (Anti-Referendums-Kollektiv), die Komitees gegen das Referendum (Comités contre le referendum, CCR), die sich für die Sensibilisierung der Bevölkerung und für besseren Informationsfluss zu den Hintergründen des Referendums einsetzten.
Außerdem gibt es in den Dörfern Tausende von Bauern- und Selbsthilfegruppen, Frauenvereinigungen und andere Nichtregierungsorganisationen.
Oppositionsparteien
Bei dem parlamentarischen Oppositionsbündnis Chef de File de l’Opposition Politique, CFOP, stellt traditionell die Partei mit den meisten Abgeordneten in der Nationalversammlung den/die Sprecher_in. Das war im alten Parlament die UPC (Union pour le Changement/Union für den Wechsel) mit ihrem Vorsitzenden Zephyrin Diabré, ein ehemaliger Minister unter Compaoré, bevor er Präsident von AREVA2 Afrika wurde. Diese Position verließ er später, um wieder in die Politik zu gehen, wo er neo-liberale Positionen vertritt. Viele Oppositionsparteien wurden von ehemaligen Minister_innen und höheren Funktionären der CDP, der Partei Campaorés, geführt. Zum Oppositionsblock zählten auch zwei linke Parteien: die UNITE PS mit ihrem Vorsitzenden Bénéwendé Sankara, der der Oppositionsführer im vorletzten Parlament war, und die panafrikanistisch ausgerichtete Parti pour la démocratie et le socialisme/Metba, PDS/Metba. Anfang 2014 hatten CDP-Abtrünnige das Mouvement du Peuple pour le Progrès – MPP (Volksbewegung für den Fortschritt) gegründet, die sich als sozialdemokratisch bezeichnet.
Gewerkschaften
Die Gewerkschaften des Dachverbands Confédération Générale du Travail Burkina (CGT-B), gegründet 1988 und an der französischen CGT orientiert, verfügen über einen hohen Organisationsgrad, sind sehr dynamisch und haben oft Einfluss auf den politischen Kurs des Landes nehmen können. Auch innerhalb der UGEB, des Studentenwerks, sowie in der Koalition gegen hohe Lebenshaltungskosten (CGCC) sind Gewerkschaftsaktivist_innen von der CGT-B sehr einflussreich. Neben der CGT-B existieren fünf weitere Gewerkschaftsverbände. Die sechs Verbände sind mit 16 unabhängigen Einzelgewerkschaften in der Unité d’Action Syndicale (UAS) zusammengeschlossen. Sie sind entlang ideologischer Linien organisiert. Alle verstehen sich als politische Verbände, die auch zu jenseits von unmittelbar auf Arbeitsverhältnisse bezogenen Themen politisch aktiv sind.3
Armee
Innerhalb der Armee gibt es eine Eliteeinheit, die extrem loyale Präsidialgarde RSP (Régiment de la Sécurité Présidentielle), die für die Sicherheit des Präsidenten zuständig ist. Die regulären Armeeeinheiten fühlen sich regelmäßig gegenüber diesem Eliteregiment benachteiligt. Infolge der starken Protestbewegungen während der ersten Jahreshälfte 2011 – ausgehend von einer Schüler_innen- und Studierendenbewegung aus Anlass er Ermordung des Schülers Justin Zongo, die auch auf die damaligen Umwälzungen in Tunesien und Ägypten Bezug nahm – kam es im Juni 2011 zu Kämpfen innerhalb der Armee. Einheiten des Militärs, die im Auftrag ihres Regimes im blutigen Bürgerkrieg in Liberia „zur Befriedung“ Dienst verrichtet hatten oder in mehr oder minder geheimer Mission zur Unterstützung der Rebellion im Nachbarland Côte d’Ivoire tätig gewesen waren, verlangten den ihnen versprochenen aber nicht ausgezahlten Extra-Sold. Außerdem richtete sich der Zorn der Offiziere gegen ihre korrupte militärische Führung. Die Meuterei griff auch auf Polizeieinheiten und sogar die RSP über, so dass sich der Campaoré bedroht fühlte und aus aus der Hauptstadt floh. Schließlich gelang es dem Regime, die Meuterei nach Verhandlungen – wahrscheinlich durch Extra-Zahlungen an bestimmte Armeeeinheiten – niederzuschlagen. Die Meuterei hatte zwar keinen progressiven Charakter, doch war sie ein Gradmesser für die innere Destabilisierung des gesamten Machtgebäudes. Infolge dieser Ereignisse tauschte Compaoré eine Reihe von Offizieren entlang der gesamten Befehlskette aus und organisierte die Armee neu.
Traditionelle Machthaber
Nachdem die Regierung Thomas Sankaras die traditionellen Herrschaftssysteme als feudale Gesellschaftsordnung angeprangert und durch die Verteidigungskomitees (CDR) deutlich eingeschränkt hatte, wurden sie von seinem Nachfolger rehabilitiert, ohne deren Status genau zu definieren. Traditionelle Chefs sind konservative moralische Instanzen, haben sakrale und traditionell richterliche Vollmachten und bestimmen vielerorts noch über Einteilung und Zuteilung von Boden. Oft fungieren sie in ländlichen Gebieten als Meinungsführer. Der Schulterschluss Campaorés mit ihnen hatte die Funktion, dass sie ihm bei Wahlen für billige Geschenke viele Stimmen aus den ländlichen Gegenden verschafften.
In politischen Krisensituationen kommt den traditionellen (wie den religiösen) Würdenträgern eine Rolle als Schlichter und Wächter über die nationale Integrität zu. Während der zweijährigen Krise nach der Ermordung des Journalisten Norbert Zongo 1998 waren sie im „Rat der Weisen“ vertreten. Nach dem Umsturz am 31.10.2014 spielte der Mossikönig von Ouagadougou eine integrierende Rolle in der politischen Debatte um die Übergangsregierung. Traditionelle Chefs nahmen an der Ausarbeitung der Übergangscharta teil.4
Blaise Compaoré
war nach dem „Brudermord“ an Thomas Sankara für über ein Vierteljahrhundert lang das Hätschelkind Frankreichs in seiner Einflusssphäre in Afrika. Der burkinische Präsident tauchte überall im französischsprachigen Afrika als „Vermittler“ bei Krisen und Konflikten auf, natürlich mit Billigung der Hegemonialmacht Frankreich: Er tat seinen Dienst als „Mediator“ ebenso beim Übergang von einer Militär- zur Zivilregierung in der Republik Guinea in den Jahren 2009 und beim Bürgerkrieg im südlichen Nachbarland Côte d’Ivoire 2010/11, wie anlässlich des drohenden Staatszerfalls beim nördlichen Nachbarn Mali seit 2012. Neutral war er als Vermittler dabei keineswegs. So ergriff er in der Côte d’Ivoire, die in eine nördliche und seine südliche Landeshälfte mit einem je spezifischen Nationalismus zerrissen war, Partei für die damals gegen die Regierung unter Laurent Gbagbo antretenden Rebellen aus dem Norden. Auch in Mali war Compaoré keineswegs unparteiisch, sondern beherbergte die Kader der gegen die Zentralregierung in Bamako kämpfenden – und zeitweilig taktisch mit den Jihadisten verbündeten – und von Tuareg getragenen Sezessionsbewegung MNLA („Bewegung für die nationale Befreiung von Azawad“) in Ouagadougou. Neutral war Compaoré auch nicht, was die äußerst brutalen Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone im vergangenen Jahrzehnt betrifft. Er unterstützte etwa den liberianischen Warlord und zeitweiligen Präsidenten Charles Taylor unter der Hand mit Truppen, nachdem liberianische Söldner ihrerseits am Putsch gegen Sankara teilgenommen hatten, und so genannte „Blutdiamanten“ aus Sierra Leone wurden trotz Embargobeschlüssen über die Drehscheibe Ouagadougou auf den internationalen Märkten gehandelt. 5
1s. David Commeillas: „Ausfegen in Burkina Faso“, le monde diplomatique, Mai 2015
2Die AREVA-Gruppe ist ein überwiegend im Besitz des französischen Staats gehörender Industrie-Konzern, der auf dem Gebiet der Herstellung, des Verkaufs usw. von Atomtechnologie tätig ist. Dazu zählt auch die Förerung von Uran u.a. im Niger und anderen afrikanischen Ländern. https://de.wikipedia.org/wiki/Areva
3Bettina Engels: Die gestohlene Revolution. BurkinaFasos Präsident Blaise Campaoré musste nach 27 Jahren im Amt zurücktreten. in: Peripherie Nr. 137, S. 103-113
4http://liportal.giz.de/burkina-faso/geschichte-staat/
5 ausführlich hierzu: www.trend.infopartisan.net/trd1210/t5912120