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Äthiopien: Feuer und Flamme für „Rosen aus Amsterdam“

In Äthiopien sind mindestens vier niederländische Blumenplantagen von aufgebrachten Demonstranten attackiert und teilweise in Brand gesteckt worden. Betriebe aus Italien, Belgien, Indien und Israel sollen ebenfalls betroffen sein. Die Angriffe fanden im Nordwesten des Landes in der Nähe von Bahir Dar statt, wie De Volkskrant am Freitag berichtete. In der Region kommt es seit Monaten immer wieder zu Protesten gegen die Regierung. Dabei sind Menschenrechtsorganisationen zufolge bis jetzt mehrere hundert Personen von den Einsatzkräften getötet worden. Auch bei den Übergriffen gegen die Gärtnereien soll es auf seiten der Demonstranten Tote gegeben haben. Die Mitarbeiter konnten rechtzeitig entkommen.

Nach Angaben der niederländischen Großgärtnerei Esmeralda Farms aus Aalsmeer bei Amsterdam beläuft sich der Schaden alleine auf ihrer Plantage auf mindestens zehn Millionen Euro. Es seien Pumpen und Kühlhäuser zerstört worden, die Bewässerung werde im Moment über eine Notversorgung bewältigt. »Es waren zwar Soldaten da, aber sie konnten die Demonstranten nicht kontrollieren«, erzählte der äthiopische Sachverwalter von Esmeralda Farms der Nachrichtenseite Bloomberg. Das Militär habe am Ende die Flucht ergriffen.

Der niederländische Botschafter in Addis Abeba hat den Betrieben empfohlen, ihre Angestellten vorübergehend woanders unterzubringen. 350 Niederländer sollen in der Gegend leben. Den Haags Ministerin für Außenhandel, Lilianne Ploumen, nannte die Situation »besorgniserregend«: »Die Blumenzüchter sind die Dummen in einem Konflikt zwischen der äthiopischen Regierung und Bevölkerungsgruppen«, sagte sie am Freitag in einem Interview mit der Fernsehstation NOS.

Das ist nicht ganz richtig, denn die Großgärtnereien sind nicht zufällig ins Visier der Oppositionellen geraten. Die ausländischen Investoren können nämlich auf die großzügige Hilfe der Regierung in Addis Abeba bauen, die scheinbar auch vor Zwangsumsiedlung nicht zurückschreckt, um Platz für die immer größer werdenden Beete und Gewächshäuser zu schaffen, wie Menschenrechtler heftig kritisieren. Die Anbauflächen der Bauern würden immer weiter schrumpfen. Es ist verrückt: In Äthiopien, wohlgemerkt einem der ärmsten Länder der Welt, das immer wieder von Hungersnöten heimgesucht wird, werden auf einem großen Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche Schnittblumen angebaut. Der wasserintensive Anbau der Schnittblumen sorgt ferner dafür, dass für die einheimischen Bauern kaum noch ein Tropfen für die eigenen Felder übrigbleibt.

Auf der größten Blumenbörse der Welt, der Royal Flora Holland in Aalsmeer, ist Äthiopien inzwischen nach Kenia der wichtigste Lieferant. Fast ein Viertel der versteigerten Ware stammt von dort, wie der Geschäftsbericht der Börse für 2015 ausweist. Flora Holland ist eine nicht gewinnorientierte Genossenschaft, in der mehr als 5.000 Blumenzüchter aus dem In- und Ausland organisiert sind. Sie dient alleine der Vermarktung der angelieferten Ware. Händler aus der ganzen Welt treffen sich jeden Tag im Örtchen Aalsmeer, um Tulpen, Lilien und Chrysanthemen zu ersteigern.

Bis vor einigen Jahren waren die riesigen Hallen mit einer Fläche von über einer Million Quadratmetern das größte Gebäude der Welt, nun hat der Flughafen von Katar Aalsmeer überholt. Das Angebot ist riesig: Die Floristen können unter 20.000 Blumensorten wählen. Am meisten werden Rosen nachgefragt, die überwiegend aus Ostafrika stammen. Flora Holland hatte laut Geschäftsbericht 2015 einen Umsatz von 4,6 Milliarden Euro.

Auch die niederländischen Gärtnereien, die jetzt bei Bahir Dar angegriffen wurden, sind offenbar Mitglied bei Flora Holland. »Dreimal die Woche bekommen wir in Aalsmeer Blumen aus unserem Betrieb in Äthiopien«, teilt etwa Esmeralda Farms in einer Presseerklärung mit. Zwischen 30 und 40 Prozent der umgesetzten Ware. Die Zerstörung der Gärtnerei ist deshalb ein schwerer Schlag. »Die Traktoren, Lastwagen, Container und die Verpackungshalle sind abgebrannt«, so das Unternehmen. Esmeralda Farms hat erst vor einem Jahr auf 150 Hektar am Horn von Afrika mit der Blumenzucht begonnen.

junge Welt 06.09.2016