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Kamerun: Vom Internet abgetrennt

Kameruns Westprovinzen beklagen zunehmende Repressalien. Die Zentralregierung schneidet die prosperierende Region jetzt bewusst vom Fortschritt ab.

In dem malerisch am Mount-Kamerun-Vulkan gelegenen Städtchen Buea ist die deutsche Kolonialzeit noch immer allgegenwärtig: im putzigen Bismarck-Brunnen, dem trutzigen Gouverneurs-Palast und den auf hölzernen Pfeilern stehenden „Siedler“-Häusern, die den sintflutartigen Niederschlägen in einer der regenreichsten Regionen der Welt hartnäckig trotzen. Heute sind zwischen den Relikten aus dem 19. Jahrhundert allerdings auch Gründungen aus neuester Zeit zu finden: Internet-Cafés und Start-up-Unternehmen der IT-Branche, die dem idyllischen Ort den Spitznamen „Silicon Mountain“ eingebracht haben.

Im „Skylabase“, der „Opportunity Space“ oder „ActivSpace“ haben sich junge afrikanische IT-Experten eingenistet, die ihre rustikale Heimat in ein digitales Eldorado verwandeln wollen. Das US-Magazin „Forbes“ nahm Buea in seine Liste der zwanzig „technologischen Perlen Afrikas“ auf: Innerhalb der vergangenen sechs Jahre vervierfachte sich der Anteil der Kameruner, die das Internet nutzen, von 4,3 auf 18 Prozent. Der 84-jährige Präsident Paul Biya versprach, die Arbeitsplätze im IT-Bereich zu verfünffachen und jedem der rund 500 000 Studenten des Landes einen Laptop zu schenken.

Bis in Buea der wohl merkwürdigste afrikanische Konflikt der Gegenwart ausbrach. Im Oktober legten zunächst die Rechtsanwälte in der um Buea herum gelegenen Südwest- sowie der benachbarten Nordwest-Provinz ihre Arbeit nieder. Sie fühlen sich von der Regierung in der Hauptstadt Yaoundé seit Jahrzehnten an den Rand gedrängt. Französisch formulierte Gesetze würden inzwischen nicht einmal mehr ins Englische übersetzt, klagten die Juristen: Und in den Gerichten werde statt des britischen „Common Law“ immer häufiger das ihnen fremde französische Recht angewandt. Den Anwälten schlossen sich kurz darauf auch die Lehrer der beiden Westprovinzen an: Sie beschwerten sich darüber, dass in ihren Schulen immer mehr französisch sprechende Kameruner eingestellt würden. Als die Sicherheitskräfte im Dezember mit der üblichen übertriebenen Härte auf die Proteste reagierten, gerieten die beiden Provinzen vollends in Aufruhr: Zigtausende Menschen gingen auf die Straße und lieferten sich Schlachten mit den Sicherheitskräften. Nachdem acht Menschen erschossen und mehr als hundert verhaftet worden waren, änderten die Demonstranten ihre Taktik: Seitdem bleiben mindestens an einem Tag der Woche alle Einwohner zu Hause und die Geschäfte geschlossen. „Ghost Town“ nennen die englischsprachigen Kameruner ihre Variante der Leipziger Montags-Demos.

Der Hintergrund des Konflikts ist jenseits der Kameruner Grenzen kaum bekannt. Seit sich die Briten nach dem Ersten Weltkrieg den Westteil der deutschen Kolonie angeeignet haben, wird dort englisch gesprochen, während die 80 Prozent der Bevölkerung – einschließlich der beiden größten Städte Yaoundé und Douala – die Sprache der französischen Kolonialherren übernahmen. Ein Jahr nach der Unabhängigkeit 1960 wurden die beiden ungleichen Teile des Landes wiedervereinigt: Zunächst in einer Föderation, die der zweisprachigen Nation eine gleichberechtigte Zukunft garantierte sollte. Doch schon elf Jahre später löste die Zentralregierung die Föderation zugunsten eines unitären Staats wieder auf – womit die Klagen der Anglophonen begannen.

Wenn sie es heute mit staatlichen Einrichtungen zu tun haben, müssen die Westkameruner mit Französisch eine Fremdsprache sprechen. Nicht einmal der seit 36 Jahren regierende Präsident Biya hielt es für nötig, die Sprache der Bevölkerungsminderheit zu lernen: In seinem 39-köpfigen Kabinett sitzt lediglich ein Minister aus dem anglophonen Westen. Sämtliche Spitzenpositionen würden mit Frankophonen besetzt, beschweren sich die Westkameruner: Der englischsprachige Landesteil sei bei der Verteilung öffentlicher Gelder ständig benachteiligt. Seit fünf Monaten bleiben in den beiden Westprovinzen die Schulen und Universitäten geschlossen, die Bevölkerung ruft zum Steuerboykott auf, selbst die Forderung nach der Unabhängigkeit Westkameruns wird immer lauter.

Bis wir Pleite gehen, ist nur eine Frage der Zeit.

Die Regierung reagiert mit eiserner Faust. Vier protestierende Anwälte wurden vor einem Militärgericht wegen Terrorismus angeklagt, ihnen droht jetzt die Todesstrafe. Geschäftsleute, die ihre Läden nicht öffnen wollen, werden mit Gewehren dazu gezwungen, viele Oppositionelle sind ins Ausland, nach Nigeria oder sogar die USA, geflüchtet. Schließlich zog Biya zu Beginn des Jahres seinen verheerendsten Trumpf: Er ließ die beiden Westprovinzen vom Internet trennen. Der Blackout traf vor allem die „technologische Perle“ Buea: Dort ist der Umsatz der Internet-Cafés und Start-up-Unternehmen eingebrochen, manche mussten ihren Betrieb in die frankophone Hafenstadt Douala verlegen. „Wir können weder arbeiten noch Geschäfte machen“, klagt Ingenieur Achia Aka von der Technologiefirma Skylabase: „Bis wir Pleite gehen, ist nur eine Frage der Zeit.“

Die staatliche Blockade habe bereits einen Schaden von mehr als zwei Millionen Dollar angerichtet, rechnet die Internetschutz-Organisation „Acces Now“ vor: Für einen zart sprießenden Geschäftszweig in einem der ärmsten Staaten der Welt eine Katastrophe. „Wie sollen wir denn dem Regierungsziel einer digitalisierten Gesellschaft näher kommen“, fragt Aktivist Julius Mbeng, „wenn der aussichtsreichste Teil des Landes lahmgelegt wird?“

Die Klagen stoßen bei Präsident Biya auf taube Ohren. Im kommenden Jahr stehen in Kamerun Wahlen an, bei denen sich der dann 85-Jährige zum siebten Mal in Folge zum Staatsoberhaupt wählen lassen will. Der reiche Despot hat bislang noch jede Revolte niederkartätschen lassen. „Wir leben in ständiger Furcht“, sagt Lucas Mbonde, 39-jähriger Schreiner im Nordwesten des Landes: „Mitten in der Nacht überfallen Soldaten unsere Häuser und greifen sich Leute ab, die wir dann nicht wiedersehen.“