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Ein Marshallplan mit Afrika?

Anfang des Jahres präsentierte der deutsche Entwicklungshilfeminister Gerd Müller unter dem Titel „Afrika und Europa – neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft“ Eckpunkte für einen „Marshallplan mit Afrika“. Dieser „Marshallplan“ steht in Zusammenhang mit der deutschen G20-Präsidentschaft, die u.a. offensiv das Ziel verfolgt, die „Zusammenarbeit mit Afrika“ auszubauen: „Deutschland setzt sich für eine Partnerschaft mit Afrika ein, die stabile Rahmenbedingungen für inklusives Wachstum und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung bietet“.

Wir erinnern uns: Der historische Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, offiziell European Recovery Program (kurz ERP) genannt, war ein riesiges Kapitalismuswiederaufbauprogramm der USA für das an den Folgen des Krieges leidenden Westeuropa. Es bestand aus Krediten, Rohstoffen, Lebensmitteln und Waren. Im gesamten Zeitraum (1948–1952) leisteten die USA verbündeten Staaten „Hilfen“ im Wert von insgesamt 13,12 Milliarden US-$ (entspricht heute rund 129 Milliarden Dollar). Im Rahmen des Kalten Krieges sollten in Westeuropa Zonen des Wohlstands geschaffen werden um Streiks und soziale Unruhen eindämmen. Die meisten Mittel flossen in Form direkter Zuschüsse mit der Auflage, davon US-amerikanische Waren zu kaufen, und nur ein Teil als Kredit.
Wer jetzt in dem Papier aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit feste Finanzzusagen für Afrika erwartet oder gar auf 129 Milliarden US-$ für Afrika spekuliert, wird bitterlich enttäuscht werden.

Wer sich allerdings über den zynischen Humor des Ministeriums lustig machen will, wird schnell fündig:
Das Papier beginnt mit dem Zitat von Art. 1 GG, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. „Das gilt für alle Menschen auch in Afrika“. Ja warum hält sich die Bundesregierung dann nicht daran? Auf Seite 15 führt das Papier z.B. aus, dass Investitionen nicht unter Währungsrisiken leiden dürfen – Verhungernde schon!
Auch fordert das Ministerium von der Weltgemeinschaft „über Möglichkeiten legaler Migration in die EU“ zu informieren und zu werben. Wo denn, in libyschen „Konzentrationslagern“ oder lieber auf idyllischen Schlauchbootausflügen im Mittelmeer? Und vor allem: Über welche Möglichkeiten legaler Migration in die EU? Für arme Leute gibt es die nämlich gar nicht!
Auch gefallen hat mir, dass das Entwicklungshilfeministerium des Kleinwaffenexportweltmeisters von der Weltgemeinschaft fordert „den Kleinwaffenhandel besser (zu) kontrollieren“.
Schön ist auch die Kontruktion des „Marshallplans“:Ein Fundament mit drei Säulen und einem Kern und ohne Dach. Wahrscheinlich haben sie im BMZ gedacht, in Afrika regnet es nicht soviel. Das kommt davon, wenn man sich zuviel in der malischen Wüste rumtreibt. Die Reihenfolge ist auch nett, das Fundament bauen sie als letztes.

Die Belustigung über die ministeriellen Skurilitäten bleiben einem aber im Halse stecken, wenn die zentrale inhaltlich Aussage des Textes analysiert wird. Das Neue und Zentrale am Marshallplan ist nämlich in Kapitel 2.3 versteckt: Das BMZ propagiert dort „Finanzierung in einer neuen Dimension“. Diese neue Dimension umfasst für sie drei Punkte:
1. „Mobilisierung von eigenen Finanzmitteln in den afrikanischen Staaten und Stärkung der Eigenleistungsfähigkeiten“:
Damit meinen sie, dass die Regierungen in Afrika despotischer bei der Gebühren- und Steuereintreibung gegen die armen Leute vorgehen müssen. Das ist in Afrika einer der wichtigsten Konfliktpunkte seit der den Anfängen der Kolonialisierung. Dass es bis heute eine „effiziente“ Besteuerung der Armen in Afrika nur in Ansätzen gibt, ist die Folge von stetigen Kämpfen und Resistenzen.
2. „Stärkung privater Investitionen und Mobilisierung privaten Kapitals mit neuen Förderinstrumenten und Anlageprodukten“: Damit meinen sie, dass für die Kapitalisierung des afrikanischen Marktes, für die „Entfesselung einer afrikanischen industriellen Revolution“ ungeheure Finanzmittel nötig sind, die durch Investitionen, Fonds und Kredite aufgebracht werden sollen. Diese Finanzmittel brauchen ein investitionsfreundliches Klima. Wenn sie mit öffentlichen Geldern und Maßnahmen unterstützt werden, soziale und ökologische Rechte keine Rolle spielen und ihnen „Rechtssicherheit“ gewährt wird, fließen sie um so lieber.
3. „Einsatz von ODA-Mitteln zur Hebelung privater Investitionen“:
Entwicklungshilfe soll darauf beschränkt werden, Investitionen zu hebeln, dass heißt zu unterstützen. In nicht profitable Bereiche sollen also keine staatlichen Entwicklungshilfegelder mehr fließen. Das ist schon ein krasser Paradigmenwechsel.

Dieser inhaltliche Kern des Papiers wird garniert mit viel entwicklungshilfepolitischer Prosa und getragen von drei Säulen:
– Das große Ausbeutungspotential des Kontinents, das durch Formierung und Disziplinierung potentieller Arbeitskräfte erst noch entschlossen werden muss, wird ab dem Jahre 2063 jährlich angeblich 20 Millionen neue Lohnsklavinnen und -sklaven mobilisieren.
– Das übliche Kriegsgeschrei, unter dem Motto „Frieden, Sicherheit und Stabilität“ niemals ohne Bundeswehr und von der Bundeswehr ausgebildeten Mördern.
– Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte für ausländische Investitionen, Fonds und Versicherungen. Der Staat ist nicht dazu da, ausländische Konzerne zu gängeln, sondern lukrative Aufträge zu verschaffen.

Getragen werden sollen diese Säulen von einem Fundament aus vier Bausteinen:
– Gnadenlose Kapitalisierung der Landwirtschaft, soziale Kosten interessieren hier nicht.
– Umweltpolitik als Hebel der kapitalistischen Durchdringung („grüne“ Investitionen, Versicherung gegen Katastrophen usw.). Verursacher von Umweltproblemen interessieren hier nicht.
– Ausbau von Energie und Infrastruktur nach den Bedürfnissen der Märkte. Die Bedürfnisse der Menschen interessieren hier nicht.
– Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung als Markt, ausgerichtet auf die Bedürfnisse des kapitalistischen Arbeitsmarktes. Auch hier interessieren die Bedürfnisse der Menschen nicht.
Insgesamt wird ein Mix aus technologischen und finanzpolitische Innovationen sowie brutalen sozialpolitischen Reformen als Lösung präsentiert.

Die Kritik an diesem Marshallplan hat die Ebene der entwicklungshilfepolitischer Prosa bislang noch nicht verlassen: Venro, ein Zusammenschluss von rund 100 deutschen Entwicklungshilfe-NGOS, und der katholische Misereor-Verband stimmen der „Analyse der Probleme“ in vielen Teilen zu. Venro kritisiert, dass der Plan zu unkonkret sei, weil konkrete Vorschläge fehlen und Misereor mäkelt, dass die Zivilbevölkerung nicht genügend eingebunden wird. Taz-Redakteuerin Eva Oer bemängelt, dass wenn für Unternehmen zusätzliche Sicherheiten geschaffen werden, sollten diese auch mehr Pflichten bekommen.

Dem Charakter der ministeriellen Kriegserklärung an die arme und kämpfende Bevölkerung Afrikas wird das nicht gerecht. Hoffen wir, dass deren Widerständigkeit den Plan genauso Makulatur werden lässt, wie zahlreiche seiner Vorgänger.  
Thematisieren wir im Rahmen der Kämpfe gegen den G20 in Hamburg diese Auseinandersetzungen um die arme und kämpfende Bevölkerung Afrikas von hier aus zu unterstützen.
G20 versenken – den Marshallplan mit untergehen lassen!