Hoffnung auf ein Ende von 51 Jahren zementierter autokratischer Herrschaft.
Das kleine westafrikanische Land Togo, ehemalige deutsche Kolonie mit heute knapp 8 Millionen Einwohner*innen, befindet sich seit August 2017 in Aufruhr. Große Teile der Bevölkerung haben genug von inzwischen 51 Jahren Herrschaft einer Familie und ihrer Entourage, die sich mit Gewalt und taktischen Winkelzügen an die Macht klammert.
Aktueller Anlass des Aufruhrs ist die Forderung, zur Verfassung von 1992 zurückzukehren, mit der die Zahl der Präsidentschaftsmandate auf zwei begrenzt worden war. Das würde bedeuten, dass Präsident Faure Gnassingbé 2020 nicht erneut kandidieren darf, da er bereits zwei Amtsperioden lang die Bevölkerung Togos traktiert hat – man wäre ihn los.
Vor allem aber erhoffen sich die Menschen von der Ablösung des herrschenden Clans eine Verbesserung sämtlicher Aspekte des täglichen Lebens.
Denn wie die Proteste gegen autokratische Herrscher in anderen subsaharischen Ländern ist auch der Aufstand in Togo nicht als reine Demokratiebewegung zu verstehen. Vielmehr mischen sich verschiedene Beweggründe: Frustration und Wut über eine unfähige, ungerechte und repressive Regierungsführung mit Verzweiflung über die persönliche ökonomische Situation und den völlig desolaten Zustand der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Bildung und Gesundheit.
Rückblick
Gerade erst im Jahr 1960 von französischer Kolonialmacht unabhängig geworden, wurde der sich zunehmend autoritär gebärdende erste Präsident Togos, Sylvanus Olympio, 1963 bei einem Militärputsch unter maßgeblicher Beteiligung eines Unteroffiziers aus dem Norden des Landes namens Eyadema Gnassingbé ermordet, der von der Nachfolgeregierung zum Stabschef befördert wurde. Nach einem erneuten Staatsstreich Ende 1966 riss Eyadema die Macht ganz an sich und schwang sich zum Diktator auf.
Seit er sich mit stillschweigender Zustimmung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich am 14. April 1967 offiziell zum Präsidenten ernannte, befindet sich die togoische Gesellschaft durchgehend im eisernen Griff der Gnassingbés und ihrer Gefolgsleute, vor allem aus dem Militärapparat. Sie schufen einen ethnisch und von Patronage und Korruption geprägten „Kommandostaat“ mit Einheitspartei und extremer Machtzentralisierung.
Die Unterstützung Frankreichs und des „Westens“ für das togoische Regime, das zeitweise vollständig von „sozialistisch“ ausgerichteten Staaten umgeben war, ist vor allem mit der imperialistischen Konkurrenz zu den Warschauer-Pakt-Staaten zu erklären.
Ökonomisch stützte sich das Regime neben dem eher unbedeutenden Export von Cash-Crops in erster Linie auf die Exporteinnahmen aus dem Rohstoff Phosphat. Bis 1974 hatten sich die Phosphatpreise auf dem Weltmarkt vervierfacht.
Mit großzügigen Bestechungsgeldern bedacht, ließ sich die Regierung von europäischen Geschäftsleuten unrentable Großprojekte aufschwatzen, die mit dem vermeintlichen Geldsegen aus dem Phosphat-Export finanziert werden sollten – was auch dazu diente, sich gegenüber der eigenen Bevölkerung als Modernisierer und Entwicklungs-Macher zu profilieren.
Beispielsweise wurde die Schweizer Firma BBC mit dem Bau eines Stahlwerks beauftragt, obwohl Togo selbst nicht über die notwendigen Rohstoffe dafür verfügt. Das Werk sollte die enorme Menge von 20.000 Tonnen Stahl im Jahr produzieren, wofür es im Land selbst gar keinen Bedarf gab. Deshalb sollte der Stahl auf dem Weltmarkt verkauft werden, wo es jedoch gegen die Konkurrenz der kostgünstiger produzierenden europäischen Stahlriesen keine Chance gab. Die Produktionskosten in Togo betrugen etwa das Doppelte des Weltmarktpreises. An Export war nicht zu denken, und selbst der interne Preis musste aus der Staatskasse subventioniert werden. Das Resultat: das Werk kam nie auf mehr als 25 % seiner Kapazität und fuhr große Verluste ein, sodass es bald geschlossen werden musste.
Ein noch krasseres Verlust-Projekt war eine von einer britischen Firma gebaute und von der britischen Regierung mit Krediten finanziert Ölraffinerie – in einem Land ohne Erdöl. Nach nur zwei Jahren wurde der Betrieb 1980 eingestellt.
Ähnlich kostspielige Investitionen flossen in einen erwarteten aber nie eingetretenen Tourismus-Boom. Völlig überdimensionierte Hotels wurden gebaut, was ebenfalls zur Verschuldung beitrug (FR 23.03.1983).
1976 brach der der Weltmarktpreis für Phosphat ein. Die erhofften Einnahmen blieben aus, zugleich stiegen die kreditbedingten Staatsausgaben.
Anfang der 80er Jahre war der Staat praktisch bankrott, das durch Kreditaufnahme getriebene „Wirtschaftswunder“ war am Ende: wie in vielen anderen Staaten der sog. Dritten Welt schnappte die Schuldenfalle zu.
Weitere Kredite zur Schuldentilgung mussten aufgenommen werden, obwohl die Zinsen zu jener Zeit wegen des sogenannten „Volcker-Schocks“ extrem angestiegen waren. (Die vom damaligen US
– Zentralbankpräsidenten Volcker 1979 bis 1982 initiierte Verknappung des Geldangebotes führte zu einer Explosion des weltweiten Zinsniveaus.)
Als Vorbedingung für weitere Kredite, die das Regime für sein Überleben brauchte, zwangen IWF und Weltbank dem Staat ihre sog. Strukturanpassungsprogrammen (SAP) auf – vier bis zum Ende der 80er Jahre.
Die Folgen: 47 der insgesamt 73 Staatsbetriebe mussten geschlossen oder privatisiert werden. Die Zahl formeller Beschäftigungsverhältnisse sackte rapide ab und viele Schul- und Hochschulabsolventen mussten fortan im informellen Sektor versuchen, Geld zu verdienen. Durch Kürzungen im Sozialbereich verkam v.a. das Gesundheitswesen und die Einschulungsquote sank erheblich. Beide Prozesse halten bis heute an.
Im Jahr 1990 umfasste die Bedienung der Außenschuld Togos etwa ein Viertel der Exporteinnahmen bzw. ein Drittel des Staatsbudgets.
Der Unmut in der Bevölkerung über die Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen wuchs und parallel dazu die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen die aufkeimende kritische Öffentlichkeit in einer diktatorisch geführten Gesellschaft.
Vor dem Hintergrund einer seit Frühjahr 1990 einsetzenden Demokratisierungswelle in Westafrika, die ihren Anfang im Nachbarland Benin genommen hatte, wurde die „Kultur des Schweigens“ über willkürliche Verhaftungen, Folterungen und abgeschottete Internierungslager gebrochen: am 05.10.1991, dem Tag der Urteilsverkündung in einem von einer Menschenrechtsorganisation angestrengten Strafverfahren gegen staatliche Folterer gab es eine Demonstration mit über 10.000 Teilnehmer*innen. Tödliche Schüsse auf die Demonstrant*innen und massive Verhaftungen lösten eine Streikwelle in allen Regionen des Landes bis Ende November d.J. aus. Die ersten Streiks seit mehr als 20 Jahren. Seitdem hielten die Auseinandersetzungen zwischen dem Gnassingbé-Regime und allen, die einen Wandel wollten, an. Aufständische Soldaten besetzten Regierungsgebäude und andere öffentliche Einrichtungen. Das Regime wich aus taktischen Gründen zurück und stimmte der Einsetzung einer Nationalkonferenz mit über tausend Delegierten und einer Übergangsregierung zu.
Im Zuge der Präsidentschaftswahlen im August 1993 schlug das Regime zurück: alle ernsthaften Gegenkandidaten zu Gnassingbé zogen sich aus Angst um ihr Leben oder aus Opportunismus – einigen waren lukrative Posten angeboten worden – zurück.
„Hunderte Menschen – unbewaffnete Zivilisten wie Soldaten – wurden von den Sicherheitskräften vor und nach den Präsidentschaftswahlen ohne Verfahren hingerichtet. Die Leichen der Opfer, manche noch in Handschellen, fand man im Wasser und am Strand in Togo und Benin, nachdem sie, wie berichtet, aus Hubschraubern oder Flugzeugen abgeworfen worden waren.“ (Amnesty International, Annuel Report 1999). Eyadema Gnassingbé wurde mit 96,46 % der abgegebenen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 36,16 % wiedergewählt.
So überstand das Regime mit einer Strategie aus grausamer Repression und Vereinnahmung, aber auch dank der Hintergrund-Unterstützung Frankreichs die Massenproteste im Zuge des „afrikanischen Frühlings“ 1991/92.
In den Folgejahren gab es anlässlich von Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen regelmäßig gegen das Regime gerichtete Mobilisierungswellen, aber genauso regelmäßig wurden die Wahlergebnisse zugunsten der Gnassingbé-Partei manipuliert.
Anlässlich der Wahlfarce und den Massakern an Oppositionellen 1992/93 hatte die Europäische Union die Subventionszahlungen an das togoische Regime in Höhe von ca. 75 Mio. Euro pro Jahr gestoppt, was den von den SAPs verursachten Niedergang der ökonomischen Reproduktion des Systems weiter verstärkte und für das Jahr 2000 zu einem Negativwachstum von – 2 % führte.
Bei den Präsidentschaftswahlen 1998, als sich ein Wahlsieg des Oppositionskandidaten abzeichnete, wurden die Wahlurnen in den Hochburgen der Opposition noch vor Auszählung der Stimmzettel von Soldaten beschlagnahmt. Auf den Generalstreik und andere Proteste gegen diesen Wahlbetrug reagierte das Regime mit einer Terrorwelle, der mehrere Hundert Menschen zum Opfer fielen.
Im Dezember 2002 ließ Eyadéma Gnassingbé die Nationalversammlung eine neue Verfassung verabschieden. Das in der Verfassung von 1992 festgelegte Verbot von mehr als zwei Präsidentschaftsmandaten wurde aufgehoben. So konnte er nochmals als Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen am 1. Juni 2003 antreten, die er mit einer angeblichen Mehrheit von 57,7 % gewann. Nachdem die zwei erfolgreichsten Oppositionskandidaten sich ebenfalls zu Wahlsiegern erklärten, Eyadéma Wahlbetrug vorwarfen und es zu Straßenkämpfen in Lomé kam, reagierte das Regime mit massiven Festnahmen von Oppositionellen.
Als Eyadéma Gnassingbé 2005 starb, erklärte das Militär seinen Sohn Faure Gnassingbé zum neuen Staatspräsidenten. Erst auf internationalen Druck hin trat dieser zurück und machte den Weg für Neuwahlen frei. Doch Faure Gnassingbé verhielt sich so skrupellos wie sein Vater: im April 2005 gewann er die Wahlen durch massive Wahlfälschungen. Bei den anschließenden Protesten wurden mindestens 800 Menschen durch Sicherheitskräfte getötet und 4.000 verletzt. 100.000 Menschen mussten in die Nachbarländer Ghana und Benin flüchten – enorme Zahlen für ein Land mit damals ungefähr fünf Millionen Einwohner*innen.
Inzwischen existiert in Togo eine vielfältige Parteienlandschaft mit über hundert Gruppierungen. Die politischen Parteien verfügen aber kaum über ein begründetes Wahlprogramm, sondern sind eher auf einzelne Führungspersonen zugeschnittene Wahlvereine. Außerdem wechseln immer wieder Ex-Oppositionsparteien die Seite und lassen sich vom Regime kooptieren, wie z.B. die Führung der ehemals größten und inzwischen bedeutungslosen Oppositionspartei UFC, deren langjähriger Vorsitzenden Gilchrist Olympio, Sohn des 1963 ermordeten Präsidenten Sylvanus Olympio, 2010 mit einem Ministerposten gekauft wurde.
So gelang es den Oppositionsparteien bislang nicht, eine signifikante Mehrheit der Togoer*innen davon überzeugen, eine echte Alternative zu der aus der Einheitspartei RPT hervorgegangenen UNIR-Partei des Gnassingbé-Clans zu sein. Bei den seit 2005 durchgeführten Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen konnten sie das Regime nicht wirklich herausfordern. Und im Zweifelsfall setzte das Regime auf Wahlmanipulationen, um an der Macht zu bleiben.
„Faure dégage!” / “Faure hau ab!”
Neben den Auseinandersetzungen auf der politischen Bühne gab es in den letzten Jahren immer wieder große soziale Protestzyklen: von Schüler*innen und Studierenden, von Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich in einer unabhängigen Gewerkschaft neu organisiert haben, von Lehrer*innen, die sich regelmäßig gegen die unzureichende Ausstattung der Bildungseinrichtungen richten oder gegen zu niedrige oder gar nicht ausgezahlte Gehälter und sogar einen Generalstreik gegen das „teure Leben“. Auch außerhalb des öffentlichen Sektors gab es Kämpfe der Arbeiter*innen in der Zementproduktion und im Phosphat-Bergbau, von Moped-Taxifahrern und einen Sex-Streik der Frauen u.a. gegen den Zwang zur informellen Prostitution, um als Frau überhaupt eine Chance auf sozialen Aufstieg zu haben.
Doch trotz dieser Kämpfe konnten kaum essentielle soziale Verbesserungen durchgesetzt werden. Denn dem Regime ist es über all die Jahre immer wieder gelungen, jeden Widerstandszyklus mit der geschilderten Mischung aus kleinen Zugeständnissen, Manipulationen und Gewalt letztlich ins Leere laufen zu lassen.
Der Unmut über das willkürliche, korrupte und autokratische Gnassingbé-Regime ist über die Jahre stetig angewachsen; allein es fehlte – zumindest bislang – an einer erfolgreichen Strategie, sich dieses Regimes, das mit allen Wassern gewaschen ist und vor keiner Untat zurückschreckt, erfolgreich zu entledigen. Die Menschen wollen normale so genannte demokratische Verhältnisse, wie etwa im Nachbarland Ghana, wo Wahlen zur Abwahl der alten Regierung führen, die sich ohne zu widersetzen der neu gewählten Platz macht. Damit verbindet sich die Erwartung, dass es dann mehr Freiheiten gibt, auch Forderungen nach sozialen Verbesserungen durchzusetzen.
Wie verzweifelt die Menschen sind, bringt ein junger Mann aus Sokodé, der größten Stadt im Norden Togos und eine Hochburg der Opposition, zum Ausdruck: „Dieses Regime hat unser Leben in Geiselhaft genommen. Das togoische Volk lebt in Hoffnungslosigkeit. Wenn wir unsere Rechte einfordern, schlägt, foltert und ermordet man uns. Wie soll man noch zu einem Präsidenten Vertrauen haben, der sein Volk tötet?“
Am 19.08.2017 fanden Demonstrationen im ganzen Land statt, zu der der Vorsitzende der 2014 gegründeten Partei PNP (Parti National Panafricain), Tikpi Atchadam, aufgerufen hatte. Hauptforderung war die Rückkehr zur Verfassung von 1992, in der die Zahl der Präsidentschaftsmandate auf zwei begrenzt war.
Zusammenstöße zwischen Demonstrant*innen und Sicherheitskräften erschütterten die Hauptstadt Lomé und alle anderen größeren Städte. Zwei Menschen in Sokodé wurden nach Angabe der Behörden getötet. Die PNP sprach von mindestens sieben von Sicherheitskräften Getöteten, vielen Verwundeten und dutzenden Verhafteten.
Die „Bêrets Rouge“, die Präsidentengarde, wurde eingesetzt und schoss in Sokodé mit scharfer Munition, ebenso in Lomé. Als Gendarmen verkleidete Soldaten brachen in Demonstrationszüge ein und feuerten aus nächster Nähe Tränengas ab.
In Kara, eine Stadt im Norden und Herkunftsregion des Gnassingbé-Clans, gab es Verhaftungen und den Einsatz von Gummigeschossen mit vielen Verwundeten.
In der Region um Sokodé im Norden gingen die „Sicherheitskräfte“ besonders brutal gegen die Demonstrierenden vor.
Die schlimmsten Gewalttätigkeiten ereigneten sich außer in Sokodé und Kara in weiteren Städten im Norden wie Bafilo und Mango, wo viele Menschen vor dem extrem brutalen Vorgehen der Staatsaorgane Zuflucht in umliegenden Wäldern und auch im Nachbarland Ghana suchten – verwundet, traumatisiert und ohne medizinische Versorgung.
Einige waren Zeugen geworden, wie ihre Häuser geplündert und in Brand gesteckt, ihre Frauen vergewaltigt bzw. ihre Männer verprügelt worden waren.
In Sokodé, Bafilo und Mango sind seitdem mit strengen Einschränkungen jeglicher politischer Veranstaltung belegt.
Der Widerstand breitet sich im ganzen Land aus
Die extreme Gewalt gegen Demonstrationen im Norden ist damit zu erklären, dass in der Region um Sokodé der Herkunftsort des Vorsitzenden der PNP liegt, die dort ihre meisten Anhänger*innen hat.
Die Zeitschrift Jeune Afrique beschreibt den charismatischen Oppositionspolitiker Tikpi Atchadam als einen der radikalen Linken nahestehenden ehemaliger Studentenführer, der in politischen Zusammenhängen durchaus bekannt sei. Vor allem werde seine Rede- und Überzeugungskraft hervorgehoben. Mit seinem an Patrice Lumumba erinnernden durchdringenden Tonfall begeistere er die Massen, indem er an den Frustrationen der togoischen Jugend anknüpfe, die wegen des Mangels an guten Einkommensmöglichkeiten und der Korruption der Eliten verbittert ist (Jeune Afrique, N°2958, 17.09.2017). Ein Lokalradio ernannte Atchadam, der wegen seiner Freundschaft zu einem Imam vom Regime bereits unbegründet als Islamist diskreditiert wurde, zur „Person des Jahres 2017“.
Eine neue Qualität des aktuellen Aufstands besteht darin, dass während bei früheren Protestwellen der Schwerpunkt des Widerstands traditionell im Süden des Landes lag und die Anhänger*innen der Regierung vor allem in den nördlichen Landesteilen mit Ausnahme der Region um Sokodé beheimatet waren, sich der Widerstand jetzt über das ganze Land erstreckt. So sollen sich an der ersten landesweiten Mobilisierung am 19.08.2017 insgesamt zwischen 800.000 und einer Million Menschen beteiligt haben.
Das dürfte sicherlich auch die an der Macht befindlichen Akteure beeindruckt haben, die für die danach fast wöchentlich stattfindenden Demonstrationen verschiedene Einschüchterungsmaßnahmen und Repressalien ins Auge fassten.
So setzt die Regierungspartei als Zivilisten verkleidete Soldaten ein, die die Demonstrationen infiltrieren, um als Provokateure Chaos und Panik zu stiften und Demo-Teilnehmer*innen bis nach Hause zu verfolgen, wo sie dann leicht überfallen und verprügelt werden können, ohne andere um Hilfe rufen zu können.
Immer wieder feuern Militärangehörige mit scharfer Munition auf Demonstrant*innen. So wurde u.a. ein 9-jähriger Junge in Mango bei einer Demonstration von einer verirrten Kugel getötet.
Außerdem wurde das Internet zeitweise blockiert, um die Kommunikation der Aktivist*innen zu erschweren. Dies hatte jedoch zur Folge, dass die Regierung auch bei unpolitischen Jugendlichen verhasst wurde, sodass dieses Instrument nicht mehr zum Einsatz kam (The Guardian, 21.09.2017).
Insgesamt kam es im Zeitraum zwischen August und Dezember 2017 zu zahlreichen Massendemonstrationen der Opposition, die regelmäßig von Repression betroffen waren:
„ Die Sicherheitskräfte zerstreuten sie mit Tränengas, Schlagstöcken, Wasserwerfern und scharfer Munition und es gab vereinzelte gewalttätige Zusammenstöße zwischen Oppositionsgruppen und Anhängern der Regierungspartei. Die Sicherheitskräfte überfielen Häuser und Gebetsstätten, schlugen Menschen, auch diejenigen, die nicht an Demonstrationen teilgenommen hatten. Mindestens 10 Menschen wurden getötet, darunter zwei Angehörige der Streitkräfte und drei Kinder zwischen 11 und 14 Jahren. Hunderte wurden verletzt, darunter Angehörige der Sicherheitskräfte. Mehr als 200 Menschen wurden verhaftet, darunter der Generalsekretär der Opposition Pan African National Party (PNP). Mindestens 60 Personen wurden zu Haftstrafen von bis zu 60 Monaten verurteilt.“ (Amnesty International. Jahresbericht 2017/18 über die Menschenrechtssituation in Togo)
Neuerdings machen Gerüchte über die Existenz verdeckte Todeskommandos die Runde; denn vermeintliche oder tatsächliche Regimegegner*innen sind auf nicht nachvollziehbare Weise „verschwunden“.
Die EU stützt das Gnassingbé-Regime
Dass die EU kaum ein kritisches Wort zur Repression des togoischen Regimes verliert, kann nicht verwundern. Denn seit langem ist Togo ein enger Verbündeter insbesondere französischer Macht- und Wirtschaftsinteressen in Westafrika. Hierzu passt, dass die Bundesregierung auf der Webseite des Außenministeriums vollkommen wirklichkeitsfremd „den Demokratisierungs-, Versöhnungs- und Reformprozess in Togo“ lobt, nachdem Ende 2012 die deutsche Entwicklungszusammenarbeit von nach 20-jähriger Suspendierung wieder aufgenommen wurde. Entsprechend hat der deutsche Botschafter in Lomé noch im Oktober 2017 die Zahlung von 37 Millionen Euro nicht zurück zu zahlender „Entwicklungshilfegelder“ an den togoischen Staat verkündet – Geld, das nach Einschätzung der togoischen Opposition überwiegend auf den Konten der Machtclique rund um den Präsidenten landen dürfte.
Europäische Staaten arbeiten im Rahmen internationaler Militäreinsätze mit dem togoischen Militär eng zusammen, zum Beispiel bei der UN-Friedensmission und Mali, und liefern Militär- und Polizeiausrüstung an den togoischen Staat, die zur Unterdrückung des Widerstandes der Bevölkerung eingesetzt wird.
Landesweite Solidaritätsstreiks erzwingen die Freilassung Oppositioneller
Ein konkretes Beispiel für die Repressionspraxis des togoischen Regimes wie auch für den hohen Mobilisierungsgrad der togoischen Gesellschaft ist folgender Vorfall:
Am 06. März 2018 nahm der Geheimdienst der Gendarmerie (IRS) den Medizin-Professor Majesté Ihou-Watéba, der Universität Lomé in Untersuchungshaft. Zwei Tage später wurde der Arzt und Professor David Dosseh, Koordinator der Sozialen Universitäten Togo (UST) und erster Sprecher des Front Citoyen Togo Debout (Bürgerfront Aufrechtes Togo), mit seinem an der Uni studierenden Sohn und eine weitere Studierende zur Vernehmung beim IRS vorgeladen.
Die gegen die Mitglieder von Togo Debout ohne konkrete Beweise erhobenen Vorwürfe der Manipulation von Examensnoten waren konstruiert. Tatsächlich ging es um die Einschüchterung von Aktivist*innen der wohl größten nicht parteigebundenen oppositionellen zivilgesellschaftlichen Organisation. Togo Debout war als Reaktion auf die brutale Staatsgewalt bei den großen Demonstrationen im September und Oktober 2017 gegründet worden und orientiert sich an Bewegungen wie Y’en A Marre im Senegal oder Balai Citoyen in Burkina Faso und genießt offenbar viel Reputation.
Am 09. März 2018 wurden die beiden Studierenden erneut festgenommen. Aufgrund der Mobilisierung der Studierenden der Uni Lomé sowie von Beschäftigten im Gesundheits- und Bildungswesen, die ab dem 10. März spontan einen landesweiten „grêve seche“ („trockener Streik“), einen Totalstreik ohne Notfalldienste, organisierten, sah sich das Regime gezwungen, die Studierenden und Prof. Ihou-Watéba am12. März freizulassen.
Während des Solidaritäts-Streiks wurden vier Lehrer*innen in Kara willkürlich festgenommen. Diese Festnahmen lösten Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften aus, bei denen mehrere Teilnehmer*innen von Tränengasgranaten und Schlägen schwer verletzt wurden. Daraufhin wurden die Streikaktionen dort fortgesetzt. Weil die Lehrer*innen trotzdem nicht freikamen, riefen neun Gewerkschaften am 28. März zu einem Generalstreik ab dem 03. April auf, woraufhin die inhaftierten Lehrer*innen später freikamen.
Mit dem CEDEAO-Fahrplan zum Wandel oder in die Sackgasse ?
Am 19. Februar 2018 begannen von der ECOWAS/CEDEAO (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) moderierte Verhandlungen zwischen dem Regime und Vertreter*innen und dem aus 14 Parteien bestehenden Oppositionsbündnis Coalition 14(C 14).
Die Präsidenten Guineas, Alpha Conté, und Ghanas, Nana Akufo-Addo, wurden mit der Moderation der Verhandlungen beauftragt.
Einerseits sah sich das Regime aufgrund der massiven Proteste und der damit verbundenen ökonomischen Krisenerscheinungen zu Verhandlungen mit dem Oppositionsbündnis gezwungen und wurde inzwischen von Frankreich, der EU und den Regierungen der benachbarten westafrikanischen Staaten dazu gedrängt. Andererseits instrumentalisierte das Gnassingbé-Regime in der Vergangenheit solche Verhandlungen stets zu seinem Machterhalt. Aus diesem Grund herrschte in der Widerstandsbewegung von Beginn der Gespräche an verbreitete Skepsis, ob das Regime überhaupt mit Verhandlungen dazu gebracht werden kann, die Forderungen der Bewegung zu erfüllen.
Immerhin wurden mehrfach inhaftierte Aktivist*innen als Vorbedingung für weitere Gespräche freigelassen. Zugleich wurde jedoch vereinbart, dass während der Verhandlungen keine Demonstrationen stattfinden sollen.
Während der Gespräche zeigte sich, dass das Regime unbedingt an seinem Vorhaben festhalten will, zwar der Begrenzung auf zwei Präsidentschafts-Mandate zuzustimmen, jedoch nicht rückwirkend. Das würde bedeuten, dass Faure Gnassingbé noch zweimal kandidieren und somit bis 2030 an der Macht bleiben könnte.Wegen dieser harten Haltung stockten die Gespräche immer wieder.
Wenn der Dialog mal wieder unterbrochen war, rief das Oppositionsbündnis dazu auf, auf die Straßen zu gehen, um die Regierung zu „ernsthaften Reformen“ zu zwingen.
Nach drei gescheiterten Gesprächsrunden und der Verschiebung der Dialogfortsetzung auf unbestimmte Zeit rief das Oppositionsbündnis nach einmonatiger Aktionspause zu Demonstrationen für den 11.,12. und 14. April 2018 auf. Anlass war die eine in Lomé stattfindende CEDEAO-Konferenz. Doch die Aktionen wurden verboten und die Repressionsorgane gingen mit Tränengas gegen die Menschen vor. Sie verfolgten Aktivist*innen bis in deren Häuser und schlugen auf sie ein. Sogar ein Treffen ranghoher Politiker*innen der „C14“ im Hauptsitz einer der beteiligten Partei wurde mit Tränengas angegriffen und aufgelöst.
Während das Oppositionsbündnis argumentierte, das verabredete Demonstrationsmoratorium gelte nur während realer Verhandlungen, vertrat die Regierung die Auffassung, das Moratorium gelte fort, solange die Verhandlungen nicht endgültig beendet seien und legitimierte damit seine massiven Angriffe.
Die ausdauernden Aktionen gegen das herrschende Regime hatten negative Auswirkungen auf die Verwertungsbedingungen in Togo. Eine IWF-Delegation, die sich Anfang April 2018 in Togo aufhielt, um die Durchführung vom IWF oktroyierter „Reformen“ zu überprüfen, stellte bedauernd fest, dass sich die Unruhen weiter negativ auf das Wirtschaftswachstum, das sich in 2017 im Vergleich zu 2016 bereits abgeschwächt habe, auswirken könnte. Das Regime steht also auch von der ökonomischen Seite her unter Druck, die Unruhen zu beenden.
Nach den im April 2018 veröffentlichten Ergebnissen einer Umfrage des Panafrikanischen Forschungsnetzwerks Afrobarometer wünschen 70% der Befragten, dass Faure Gnassingbé nicht noch einmal Präsident werden soll.
Für die letzte April-Woche angesetzte Demonstrationen wurden von den Repressionsorganen im Keim erstickt, indem die Teilnehmer*innen bereits an den Sammelpunkten angegriffen und gewaltsam zerstreut wurden.
Aufgrund der heftigen Angriffe auf oppositionelle politische Betätigung rief Togo debout für den 19. Mai 2018 zu einer großen Versammlung in einem zentralen Stadtteil in Lomé auf, um über Strategien gegen die Repression zu diskutieren. Das Treffen wurde auf Geheiß des Innenministers verhindert, indem Repressionsorgane schon sehr früh am Morgen den vorgesehenen Versammlungsort stürmten und besetzten.
Erneut rief C 14 für Aktionstage ab dem 06. Juni 2018 auf, die jedoch erneut nicht genehmigt und verhindert wurden, indem die Sammelplätze schon am frühen Morgen durch Repressionskräfte blockiert wurden. Diese Strategie des Regimes scheint aufzugehen: immer weniger Menschen folgten den Demonstrationsaufrufen der C 14 – aus Angst vor den massiven Verfolgungsmaßnahmen, bei denen Tränengas und Schlagstöcke eingesetzt werden. Schließlich wurden weitere von der C 14 geplante Demonstrationen abgesagt.
Alternativ rief das Bündnis für den 18. Juni 2018 zu einem Generalstreik („ville mort“,“tote Stadt“) auf, der regional und in den Stadtteilen Lomés unterschiedlich intensiv befolgt wurde.
Am 15. Juni 2018 fand ein Kongress der togoischen zivilgesellschaftlichen Gruppen (Forces Vives du Togo) statt, bei dem der Vorschlag eines Übergangs-Fahrplans zu demokratischen Verhältnissen diskutiert und verabschiedet wurde („Contribution de la Sociéte Civile pour une Sortie Pacifique de Crise“).
Kernpunkte sind die Rückkehr zur Verfassung von 1992, die Einsetzung einer paritätisch von Opposition und jetziger Regierungspartei besetzten Übergangsregierung zur Einleitung von Reformen und Einzelheiten zu den Wahl-Regularien für die kommenden Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen.
Das Papier wurde am 27. Juni 2018 in Lomé den beiden von der CEDEAO eingesetzten Krisenmoderatoren anlässlich ihres Treffens mit Vertreter*innen der togoischen Regierung und dem Oppositionsbündnis C14 überreicht. Am Ende dieses Treffens schlugen die Moderatoren als Kompromiss vorgezogene Präsidentschaftswahlen innerhalb von vier Monaten vor. Der togoischen Regierung war das zu schnell, die Opposition lehnte die Durchführung von Wahlen ohne vorherige Reformen der Wahlregularien und der Verfassung ab.
Bei der CEDAO-Konferenz am 31.07.2018 in Lomé war die Krise in Togo Hauptthema. Es wurde ein verbindlicher Fahrplan (feuille de route) der CEDEAO zur Krisenlösung beschlossen.
Als Termin für die nächsten Parlamentswahlen wurde im Anschluss der 20. Dezember 2018 bestimmt.
Das Regime versucht seitdem, wichtige Forderungen der Opposition und der Zivilgesellschaft, die in den feuille de route hineinverhandelt wurden, zu unterlaufen. Beispielsweise wurde die von Regierung und Opposition paritätische zu besetzende Wahlkommission (CENI) für die für den 20. Dezember 2018 vorgesehenen Parlamentswahlen erst nach langem Hin- und Her tatsächlich entsprechend des CEDEAO-Fahrplans installiert. Stand Anfang November 2018 haben die von der Opposition berufenen Gremienmitglieder jedoch noch immer keinen vollen Zugriff auf die CENI-Organisationsstrukturen und sind somit nicht in der Lage, ihre Kontrollfunktion auszuüben.
Während das Regime massiv die Kampagne zur Eintragung in die Wählerregister (Recensement) und Ausstellung von Wählerausweisen vorantreibt, kritisiert die Opposition, dass nicht alle Vereinbarungen des CEDEAO-Fahrplans umgesetzt wurden, weshalb sie zum Boykott der Wählerregistrierung aufruft.
Dieser Boykott ist allerdings nicht unumstritten. Es gibt Stimmen, die befürchten, dass das Regime die Wahlen trotz des Boykotts einfach durchzieht und dann mit großer Mehrheit gewinnen wird.
Andere wiederum sind davon überzeugt, dass die Wahl am 20. Dezember nicht stattfinden wird, wenn das Regime weiterhin zu keinen substantiellen Zugeständnissen und der Einhaltung des CEDEAO-Fahrplans bereit ist. Sie wollen bis dahin einen möglichst großen Teil der Bevölkerung mit Aufklärungskampagnen über die undurchsichtigen und dem CEDEAO-Fahrplan zuwiderlaufenden Machenschaften des Regimes aufklären. Das ist mit der Hoffnung verbunden , dass in einem entscheidenden Moment sich eine mindestens so große Bevölkerungsmasse wie am 17. August 2017 querstellen wird.
„Jetzt oder nie!“
Nach wie vor scheint das Regime an seinem Vorhaben festzuhalten, zwar der Begrenzung auf zwei Präsidentschafts-Mandate zuzustimmen, jedoch nicht rückwirkend. Das würde bedeuten, dass Faure Gnassingbé noch zweimal kandidieren und somit bis 2030 an der Macht bleiben könnte.
Deshalb dürften die Zeichen weiterhin auf Konfrontation stehen: Präsident Faure Gnassingbé und seine Entourage wollen ihre Machtposition auch nach Ablauf seines jetzigen Mandats um jeden Preis behalten, und es ist nicht sicher, dass die CEDEAO ihn von diesem Vorhaben tatsächlich abbringen wird.
Zahlreiche Aktivist*innen haben immer wieder betont: „Jetzt oder nie!“ Der Zeitpunkt sei erreicht, die togoische Gesellschaft endgültig vom Gnassingbé-Clan zu befreien, um zumindest eine bürgerliche Demokratie wie etwa in Ghana zu erreichen, was auch die Durchsetzung sozialer Forderungen erleichtern würde.
Sie diagnostizieren ein massenhaftes und zornerfülltes „Es reicht!“ der Menschen – und trotzdem in dem über einem Jahr Unruhe wenig Greifbares erreicht wurde, ist ihr Optimismus ungebrochen.
izindaba
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