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Sudan: Millionen fordern von Übergangsregierung vollständige Umsetzung des Machtteilungsabkommens

Der sudanesische Aufstand zeigt sich trotz aller Rückschläge immer noch eindrucksvoll. Am Dienstag, dem 31. Jahrestag des Putsches von Expräsident Omar Al-Baschir, strömten erneut landesweit Millionen auf die Straßen, um von der Übergangsregierung die Umsetzung des im vergangenen Jahr ausgehandelten Abkommens zwischen Militärs und ziviler Opposition zu fordern. Aber auch, um an den Erfolg des »Marsches der Millionen« 2019 anzuknüpfen. Damals war es gelungen, den Militärrat, der durch seine Hinhaltetaktik die Verhandlungen mit Vertretern der Opposition verzögert hatte, durch Massen auf den Straßen zur Wiederaufnahme der Gespräche zu zwingen. Die konkreten Forderungen diesmal: Den Kurs der Revolution korrigieren, die Ernennung ziviler Gouverneure, die strafrechtliche Verfolgung führender Personen des Al-Baschir-Regimes und juristische Gerechtigkeit für die Opfer der Proteste.

Bei den Demonstrationen – den ersten dieser Größenordnung seit Konstituierung des Kabinetts im vergangenen August – wurde erneut mindestens ein Mensch erschossen, zahlreiche weitere erlitten Schussverletzungen, wie das »Sudanesische Ärztekomitee« am Dienstag abend meldete. Für die Menschen in der seit Jahrzehnten mit Krieg und Verfolgung überzogenen Provinz Darfur ist das Alltag. Im Nachgang einer Großdemonstration am Sonntag in der zentral gelegenen Stadt Nierteti prangerten Tausende Darfuris mit einem Sitzstreik vor den örtlichen Behörden die anhaltende Gewalt gegen Zivilisten in der Provinz an, wie der sudanesische Sender Radio Dabanga am Dienstag online berichtete. Demnach sollte dieser fortgesetzt werden, bis die Forderungen der Demonstrierenden – Absetzung der Führung des lokalen »Sicherheitskomitees«, Entfernung der gegenwärtigen »Sicherheitskräfte«, der Mitglieder des militärischen Geheimdienstes sowie der paramilitärischen »Rapid Support Forces« – erfüllt seien. Auch die Rechtsorganisation »Darfur Bar Association« stellte in einer Pressemitteilung fest, dass sich Khartum unglaubwürdig mache, wenn sie lokale Autoritäten des geschassten Regimes weiter wirken lasse. Tausende demonstrierten auch in den zahlreichen Lagern für Inlandsvertriebene, und dortige Widerstandskomitees veröffentlichten Memoranden mit konkreten Forderungen.

Der amtierende Premier Abdullah Hamdok erhielt jedoch auch Zustimmung aus den Reihen der Protestierenden. Am Abend zuvor hatte er sich in einer Rede an die Nation gewandt und der »glorreichen Dezemberrevolution« seine Unterstützung zugesagt: »Die Macht der Menschen ist größer, die Straßen betrügen nicht, und zivile Führung ist die Wahl der Menschen.« Er sprach davon, dass er sich in den vergangenen Tagen mit verschiedenen politischen Kräften, Widerstandskomitees und kommunalen Bewegungen getroffen, Mitteilungen auch von den Familien der Getöteten gelesen und deren Forderungen nach einer Kursänderung zur Kenntnis genommen habe. Der Premier versprach weiter, dass sich die Regierung in den kommenden zwei Wochen, »mit dem Ziel, den höchsten Grad an Konsens und Zustimmung in der Bevölkerung zu erreichen«, damit auseinandersetzen werde.

Hamdok muss sich innerhalb der Regierung jedoch mit immer noch mächtigen Militärs arrangieren, die sich weiter gegen die zentrale Forderung der Protestierenden, einer vollständigen Umstrukturierung des Sicherheitsapparats, stellen: »Viele Kräfte lauern innerhalb und außerhalb des Landes, die darauf abzielen, uns unseren Weg rückwärts gehen zu lassen. Aber was ich verspreche, ist, dass wir möglicherweise stolpern, aber niemals zurückgehen werden.« Ökonomisch sichern sich jedoch weiterhin hochrangige Militärs die Pfründe des Landes. Statt diese Ressourcen unter staatliche Kontrolle zu bringen, geht Hamdok den Weg des für ihn geringeren Widerstands – neoliberaler Umbau zugunsten internationaler Geldgeber. Diese »Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds« wird vor allem von der Sudanesischen Kommunistischen Partei, die den Aufstand seit Dezember 2018 maßgeblich vorangetrieben hat, kritisiert und abgelehnt, wie es zuletzt in einer Mitteilung vom Sonntag hieß.

Aus: junge Welt 02.07.2020

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