Von “Allyship” zu echter Koalition
Emma Dabiri fordert, dass aus Alliierten im Kampf gegen Rassismus Koalitionäre der sozialen Frage auf der Grundlage gemeinsamer Interessen werden.
Der Begriff Allierte produziere eine Machtdynamik, Koalitionen dagegen entstünden aus der Erkenntnis, „dass es für dich genauso abgefuckt ist, wie wir bereits erkannt haben, dass es für uns abgefuckt ist, zitiert sie den Theoretiker, Dichter und Philosoph Fred Moten1. Das bedeutet aber auch, dass es unabdingbar ist, gegenüber den Besonderheiten des Rassismus und seinen Erscheinungsformen in verschiedenen Kontexten wachsam zu bleiben. In Anlehnung an Stuart Hall fordert sie einen gemeinsamen Kampf und Widerstand „ohne die tatsächliche Heterogenität von Interessen und Identitäten zu unterdrücken“.
Die Verbindung der Kämpfe „bildet den Kern von Koalitionen und von Visionen, die die Interessen vieler Menschen widerspiegeln, die sich für gemeinsame Ziele zusammenschließen“. Was für Schwarze richtig ist, ist auch für arme Weiße gut: Zügelung der mörderischen Polizei, Investitionen in Schulen statt Gefängnisse, umfassende Gesundheitsversorgung, Steuererhöhungen für Reiche und das Beenden sinnloser Kriege, zitiert sie die afroamerikanische Professorin Barbara Fields2.
Das Hauptproblem des antirassistischen Aktivismus besteht für Dabiri darin, dass er sich weder von der Vorstellung von race lösen könne, noch von der Vorstellung einer Minderwertigkeit der „Anderen“. Dabei ist Rassismus immer auch grundiert von Klassenungerechtigkeiten. Statt die Benachteiligung von Schwarzen immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen, gelte es, „Weiße“ als Gruppe sichtbar zu machen. Denn „Weißsein“ sei ein Konzept, dass in erster Linie erfunden wurde, um die Unterschiede zwischen Weißen ideologisch zu verflachen. Die „Erfindung der Weißen Rasse“ (Theodore W. Allen) im 17. Jahrhundert ist Ausdruck der Angst der englischen Elite vor der sich entwickelnden Solidarität zwischen Afrikaner:innen und zwangsverpflichteten Europäer:innen in den karibischen und nordamerikanischen Kolonien.
Der nächste Schritt ist, den Kapitalismus zu hinterfragen, unsichtbaren Klassenstrukturen sichtbar zu machen und „Verbindungslinien zwischen dem Ursprung des globalen Kapitalismus, dem Kolonialismus und der Erfindung von >Race< zu ziehen“. Dabiri weist darauf hin, wie die Ausbeutung der Arbeiterklasse von Anfang an durch den Glauben an weiße Suprematie gestützt wird, der eine doppelte Funktion besitzt:
- Weiße Suprematie legitimiert die Ausbeutung Schwarzer, und
- sie vermittelt selbst dem ärmsten weißen Arbeiter, dass er immer noch mehr wert ist als ein Schwarzer.
Warum sollte er das aufgeben? Was bekommt er dafür?
Durch Koalitionen, durch temporäre Bündnisse im Kampf für konkrete Anliegen, könnte man der Working Class wirklich helfen und zugleich rassistische Weltbilder zerstören so Dabiri. Aber „wenn wir uns organisieren, ohne die Ausbeutung von Arbeit zu Berücksichtigen, wofür kämpfen wir dann eigentlich?“
Das enthebt weiße Menschen nicht von der Verantwortung für ihr Handeln. Verantwortung im Gegensatz zu Schuld.
Entscheidend ist jedenfalls der ungerechten Verteilung von Ressourcen als Ergebnis von Sklaverei, Kolonialismus und Kapitalistischer Gewalt und Ausbeutung ein Ende zu machen durch Reparationen (nicht Hilfe): „Ich brauch Deine Hilfe nicht. Ich will nur, dass Du erkennst, dass diese Scheiße auch dich umbringt, wenn auch viel sanfter, du dummer Wichser, verstehst Du?“ zitiert sie Fred Moten.
Das Buch ist wirklich zu empfehlen, weil es den Widerspruch zwischen Klassen- und Identitätspolitik intelligent auflöst: Sexismus, Rassismus, Kapitalismus und andere Unterdrückungsformen bedingen einander, gehören zusammen und können auch nur im Gesamtpaket abgeschafft werden. Doch Individuen sind, je nach gesellschaftlicher Position, ganz unterschiedlich davon betroffen. Diese Unterschiede können nicht einfach ignoriert oder als Lifestyleproblem abgetan werden. Gleichermaßen eine eindeutige Absage an Rassismuskritik ohne Klassenstandpunkt und einen Klassenstandpunkt ohne Rassismuskritik!
Zusätzlich formuliert Dabiri eine scharfe Kritik am Online-Aktivismus, der Widerstand nur simuliert und letztlich blockiert: „Es scheint, als hätten wir etwas tun durch etwas sagen ersetzt“
Emma Dabriri, geboren 1979, wuchs als Tochter einer nigerianischen Mutter und eines irischen Vaters in Atlanta und Dublin auf. Mit ihrem Debüt Don’t Touch My Hair landete sie 2019 auf der Shortlist für den Irish Book Award. Sie schreibt regelmäßig u.a. für den Guardian, die Irish Times und Vice. Dabiri lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in London, wo sie an der Goldsmiths University promoviert hat und als Dozentin an der University of London lehrt.
Dabiri, Emma
Was weiße Menschen jetzt tun können
Von “Allyship” zu echter Koalition
Berlin 2022
Aus dem Englischen von Marion Kraft
192 Seiten
€ 12,99 (D) / € 13,40 (A) / SFR 14,90 (CH)
ISBN: 978-3-548-06660-8
1 Fred Moten (geb. 1962) ist ein us-amerikanischer Kulturtheoretiker, Dichter und Wissenschaftler, der sich mit kritischer Theorie, Black Studies und Performance Studies befasst. Er hat wissenschaftliche Texte und zahlreiche Gedichtbände veröffentlicht.
2 Barbara Fields (geb. 1947) ist Professorin für amerikanische Geschichte mit den Schwerpunkten Geschichte des us-amerikanischen Südens, Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts und der Übergang zum Kapitalismus in den USA.