Zum Inhalt springen

Aufruf zur Entwaffnung des Bollorè-Imperiums

Mitte Juli 2024 haben über hundert Organisationen in Frankreich eine Kampagne gestartet, das Bolloré-Imperium zu entwaffnen – sprich: zu boykottieren, zu behindern, zu sabotieren.

In Deutschland weithin unbekannt, ist das „Imperium“ des Multimilliardärs Vincent Bolloré von einem im 19. Jahrhundert gegründeten Familienunternehmen, welches mit der Produktion von Bibel- und Zigarettenpapier (OCB) groß wurde, zu einem transnational agierenden Mischkonzern mit einem Nettogewinn von 3,75 Mia. Euro im ersten Halbjahr 2024 mutiert. 

Dessen unter dem Namen „Vivendi“ firmierende Mediensparte ist durch massiv betriebenen Aufkauf von anderen TV-Sendern und Zeitungen – auch als „Bollorisation der französischen Medien“ bezeichnet – inzwischen einer der größten Medienkonzerne Europas.

Dabei will Bolloré nicht einfach nur noch mehr Kapital anhäufen, sondern mit seiner Medien-Macht verfolgt er das Ziel, die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) und ihre Chefin Marine Le Pen an die Regierung zu bringen.

Insbesondere dagegen richtet sich die Anti-Bolloré Kampagne.

Ein Großteil des für den Medienaufkauf notwendigen Kapitals hat Bolloré durch seine Geschäfte in Subsahara-Afrika erwirtschaftet bzw. ergaunert. Neben den im Aufruf genannten Ausbeutungsprojekten vor allem im Agrarbereich gelang es ihm seit Mitte der 80er Jahre mit der Tochterfirma Bolloré Africa Logistics in 42 Häfen v.a. im frankophonen Subsahara-Afrika in den Bereichen Seefracht und Lagerlogistik Fuß zu fassen und die Konzessionen für insgesamt 16 Containerterminals zu erhalten.

Dabei wurden nicht selten in postkolonialer Manier die Praktiken des  Francafrique gepflegt. So meinte der frühere CEO der Bolloré-Gruppe in Afrika, Gilles Alix: „Die Minister dort kennen wir alle. Das sind Freunde. (…) Ab und zu bietet man ihnen nach der Niederlegung ihres Amts einen Platz im Verwaltungsrat einer unserer Tochtergesellschaften an.“[i]

Aufgeflogen sind diese Praktiken u.a. in den Fällen der Übernahme der Konzessionen für die Containerterminals in den Häfen von Conakry (Guinea) und Lomé (Togo).

Der guineische Ex-Präsident Alpha Condé und der togoische Präsident Faure Gnassingbé kandidierten 2010 für ihre Wiederwahl. Das zum Bolloré-Imperium gehörende Kommunikationsunternehmen Hava kreierte aufwändige Wahlkampagnen für die beiden Präsidentschaftsanwärter, die die Wahlen tatsächlich gewannen. Die Rechnungen für die Wahlkampagnen wurden „unterfakturiert“, waren also lächerlich gering. Im Gegenzug erhielt Bolloré Africa Logistics von den Wiedergewählten jeweils den Zuschlag für die gewünschten Hafenkonzessionen.

Im April 2018 leitete die französische Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen Bolloré wegen „Bestechung ausländischer Staatsbediensteter“ ein. Im Verlauf des Prozesses gab Bolloré die Korruptionsvorwürfe zu.

Aufgrund weiterer Korruptionsfälle und stärker werdender Konkurrenz wurden die Gewinnmargen offenbar geringer, sodass die Logistiksparte in Afrika nach langen Verhandlungen schließlich im März 2022 an die Schweizer Reederei MSC verkauft wurde. Von den 5,7 Mrd. Euro Kaufpreis erhielt Bolloré als Hauptanteilseigner 5 Mrd. Euro – Kapital für weitere Übernahmen französischer Medien. Entsprechend wurde der im frankophonen Afrika sehr verbreitete und zum Bolloré-Imperium gehörende TV-Senders Canal+ nicht aufgegeben, sondern verblieb ausdrücklich im Besitz Bollorés.

Hier nun der auf der Seite lundimatin#437 am 16. Juli 2024 erschienene Aufruf:


Hundert Organisationen rufen dazu auf, das Bolloré-Imperium zu entwaffnen!

Während die Arcom[2] am Montag, den 15. Juli, die Neuvergabe der DVB-T-Frequenzen für den Sender CNEWS prüft, starten hundert Gewerkschafts-, antirassistische, feministische und Umweltorganisationen eine Aktionskampagne gegen den Bolloré-Konzern. Auch wenn man sich vorläufig darüber freuen kann, dass die Rassemblement National bei diesen Wahlen letztlich nicht gewinnen konnte, will diese ihre Eroberung der Territorien und Vorstellungswelten fortsetzen. Die unterzeichnenden Organisationen rufen dazu auf, nicht auf die nächsten Wahlerfahrungen zu warten und alle verfügbaren Kräfte „gegen die Vektoren der Faschisierung der Gesellschaft“ zu vereinen. „Wir rufen in diesem Sinne dazu auf, überall den Kampf gegen Bolloré zu führen: weil er ein Akteur der ökologischen Verwüstung und der neokolonialen Ausbeutung ist, aber auch, weil er innerhalb weniger Jahre zu einem wichtigen Hebel für die Machteroberung der extremen Rechten geworden ist.“

Bolloré, Direktor der Propaganda

Bolloré stellt ein immer größeres Ensemble von Massenmedien für eine offen rassistische Politik zur Verfügung. Auf seinen Kanälen sagen Eric Zemmour, Pascal Praud und andere radikalisierte Kommentatoren davon, dass sie für eine „zivilisatorische“ Mission arbeiten. Ihr Plan ist klar: Sie wollen die Fantasie einer reinen Nation nähren, indem sie die große Re-Migration organisieren.

Dieses eisige Projekt folgt einem präzisen Plan, bei dem Bolloré zur Nadel und zum Nähgarn geworden ist. Wen wird Éric Ciotti aufsuchen, bevor er zur Allianz von RN und LR aufruft? Wer stellt CNEWS, Europe 1 und Hanouna in den Dienst dieser „Union der Rechten“? Vincent Bolloré![3]

Das ist eine Frage der Gewohnheit für den Milliardär, der bereits wegen der Manipulation mehrerer Präsidentschaftswahlen in Afrika angeklagt wurde[4].

Über die fremdenfeindliche Sintflut hinaus fördert die Bollosphäre jeden Tag sexistische und homophobe Diskurse, die Gewalt gegen Frauen und LGBTQI+ Personen legitimieren. Sie schürt die Leugnung der Klimakrise und arbeitet unermüdlich daran, dass diejenigen, die von der ökologischen Verwüstung profitieren, nicht behindert werden. Bolloré führt einen Krieg um die kulturelle Hegemonie, die Eroberung der Vorstellungswelt und die Herstellung der Zustimmung zum Schlimmsten. Dass die RN so nahe daran war, die Wahlen zu gewinnen und die Macht zu übernehmen, ist zum Teil sein Werk[5].

Er ist die treibende Kraft hinter der Union der Rechten, der objektiven Allianz zwischen dem liberalen Block und dem neofaschistischen Block. Diese Allianz passt perfekt zu seinen Klasseninteressen und politischen Überzeugungen.

Bolloré, ein klimaschädliches, neokoloniales und sicherheitspolitisches Industrieimperium.

Um die Fäden zu ziehen, muss man sich die Mittel dazu verschaffen. Bevor er sich als Chefpropagandist entpuppt, ist Bolloré ein Industriekapitän. Er leitet einen internationalen Konzern, dessen Aktivitäten in mehrere Branchen unterteilt sind.

  • Die bekannteste ist die Kommunikationsbranche mit Vivendi und Universal. In 20 Jahren hat Bolloré geduldig seine Kommunikationsmaschine aufgebaut und die Köpfe der Menschen geformt. Gratiszeitungen, Meinungsforschungsinstitute, Werbekonzerne, dann Fernsehsender, Radiosender, Zeitschriften und Verlage. Mit der brutalen Übernahme von Canal + und Europe 1, den Massenentlassungen bei I-Télé und dem Aufstieg von CNEWS hat sich dieser mächtige Apparat immer offener in den Dienst der reaktionärsten Ideen gestellt. Die finanziellen Sanktionen der Arcom (Regulierungsbehörde für den audiovisuellen Raum) aufgrund der zahlreichen Aufrufe zum Hass, der monopolistischen Ziele und der Einseitigkeit der Medien der Gruppe haben Bolloré bislang weder heiß noch kalt gemacht[6].

Bald wird er die Herausgabe der Hälfte aller Taschenbücher und über 70% der Schulbücher des Landes besitzen. Die möglichen Auswirkungen auf diesen Sektor im Falle eines rechtsextremen Bildungsministers sind schlichtweg alarmierend.

  • Der historische Zweig ist der industrielle Zweig, der sich um Bolloré Energy, das mehrere Öldepots besitzt und Heizöl verkauft, und Blue, das Aktivitäten im Zusammenhang mit Reise- und Datenströmen bündelt, konzentriert. Es überrascht nicht, dass Bolloré ein Hauptakteur in verschiedenen Unternehmen ist, deren gemeinsamer Nenner die Entwicklung und Automatisierung von Überwachungsmitteln aller Art ist: Automatisierung der Zugangskontrolle und des Flussmanagements (Automatic Systems), Sicherung des öffentlichen Raums (Indestat), RFID-Chips und Tracking (Track & Trace), digitale Beratung im Dienste der vernetzten Stadt (Polyconseil)…
  • Die Logistiksparte hat das Unternehmen zu einem der Schwergewichte im weltweiten Luft-, See- und Straßengüterverkehr gemacht, das den Gütertransport auf Kosten der lokalen Produktion, der Arbeitsbedingungen und des Klimas organisiert. Der kürzlich erfolgte Verkauf dieser Sparte an CMA CGM, die ihrerseits BFM-TV und RMC betreiben, hat Bolloré die Mittel an die Hand gegeben, die französische Politik erheblich zu beeinflussen.
  • Schließlich wird ein großer Teil von Bollorés Gewinnen aus seiner „landwirtschaftlichen“ Sparte erzielt. Er hat sein Vermögen mit dem Anbau und Verkauf von Tabak in Afrika aufgebaut. Neben seinen prestigeträchtigen Weingütern in Frankreich ist er der zweitgrößte Anteilseigner der luxemburgischen Holding Socfin, die etwa 390.000 ha Ölpalm- und Kautschukbaumkonzessionen in Afrika und Asien kontrolliert. Abholzung, Landraub, schlechte Behandlung der Anrainerbevölkerung, unmenschliche Arbeitsbedingungen etc. Trotz des laufenden Gerichtsverfahrens wegen dieser wiederholten Menschenrechtsverletzungen auf ihren Plantagen[7],

trotz der formellen Anerkennung dieser Verstöße durch verschiedene Finanzinstitutionen[8], und trotz der von Socfin bei der Earthworm Foundation in Auftrag gegebenen Evaluierungsmissionen, die „diese Anschuldigungen widerlegen“ sollten, aber nur die Realität der Verstöße feststellen und zur Kenntnis nehmen konnten, kann Socfin dennoch weiterhin ungestraft florieren.

Bolloré ist an allen Verheerungen beteiligt. Er ist ein Konzern, der auf einem Kolonialsystem gegründet wurde und wissentlich sklavenhaltende Praktiken fortsetzt. Er ist ein Industrieller, der aus den verheerendsten extraktivistischen Logiken seinen Profit zieht. Er ist ein Landenteigner. Ein Unternehmer, der seinen Angestellten gegenüber eine brutale Politik des Sozialabbaus und des Managementterrors betreibt. Sein Imperium ist weitreichend. Aber für diejenigen, die glauben, dass es an der Zeit ist, ihm ein Ende zu setzen, bedeutet das nur eines. Es ist möglich, uns in einer breiten gewerkschaftlichen, sozialen, ökologischen, feministischen, dekolonialen, antifaschistischen und internationalen Front zusammenzuschließen.

Den Bolloré-Konzern entwaffnen

In den letzten Jahren sind auf dem Gebiet der ökologischen Kämpfe internationale Aktionskampagnen gegen Industrieunternehmen wie Lafarge-Holcim oder Total entstanden. Antifaschistische Kollektive, die in zahlreichen Städten, Arbeitervierteln und ländlichen Gebieten vertreten sind, haben Widerstand vor Ort geleistet. Die letzten sozialen Bewegungen haben gezeigt, dass es immer noch einen kämpferischen Syndikalismus gibt. Breite feministische und LGBTQI+ Mobilisierungen gehen auf die Straße. Anti-Körperkult-Bewegungen rufen uns dazu auf, eine Kultur der Fürsorge an die Stelle des Kults der Stärke zu setzen. Antirassistische und dekoloniale Bewegungen kämpfen tagtäglich in den Arbeitervierteln. Solidaritätsnetzwerke setzen sich für die Aufrechterhaltung von Gebieten ein, in denen Menschen im Exil aufgenommen werden. Bolloré ist eine Bedrohung für uns alle. Aber gemeinsam können wir auf eine enorme Kampferfahrung zurückgreifen. Wir rufen daher zu einer gemeinsamen Kampagne auf – in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren -, um das Bolloré-Imperium zu zerschlagen.

Während er die Kritik an seinen Aktivitäten in seinen eigenen Medien mundtot macht[9], rufen wir dazu auf, sein Imperium gründlich zu untersuchen, Zeugenaussagen zu sammeln, Informationen aus seinem Inneren durchsickern zu lassen und sie zu bündeln, seine Verbrechen überall zur Schau zu stellen, auf den Straßen, in den Netzwerken und in seinen Unternehmen.

Seine politische Agenda greift das Leben von Millionen von Menschen an. Wir werden künftig mit Massen- und dezentralen Mobilisierungen antworten, die auf den Konzern hinweisen und ihn konkret beeinflussen.

Bolloré nistet sich nicht nur in unseren Gehirnen ein, sondern ist oft auch materiell – mit seinen Büros und Lagerhäusern – direkt neben uns präsent. Es gibt eine Vielzahl von Aktionen, die möglich sind, wenn wir sie gemeinsam durchführen. Blockieren wir ihre Fernsehsender, besetzen wir ihre Öllager, unterstützen wir die Gewerkschaftskämpfe in ihren Unternehmen und Medien, ernten wir ihre Weinberge, verteilen wir ihr Heizöl an diejenigen, die sich mit dem Heizen abmühen müssen, verfolgen wir den Plotter, knüpfen wir internationale Allianzen, organisieren wir Boykotte, werfen wir ihre Sender aus dem DVB-T und unterstützen wir die Schaffung und Etablierung starker medialer Gegenmächte!

Die extreme Rechte hängt am Tropf von Bolloré – drehen wir ihr gemeinsam den Geldhahn zu!

Quelle: https://lundi.am/Une-centaine-d-organisations-appellent-a-desarmer-l-empire-Bollore


[1] Le monde diplomatique 09.012.2021: „Bollorés business in Afrika“ https://monde-diplomatique.de/artikel/!5817993

[2] staatliche Regulierungsbehörde für den audiovisuellen Raum

[3] www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/13/comment-eric-ciotti-a-orchestre-avec-vincent-bollore-l-annonce-de-son-ralliement-au-rn_6239404_823448.html

[4] https://www.arretsurimages.net/articles/sur-cnews-pascal-praud-milite-avec-ferveur-pour-lunion-des-droites

[5] https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/06/16/legislatives-2024-comment-les-medias-de-vincent-bollore-orchestrent-l-alliance-du-rn-et-de-la-droite_6240508_823448.html

[6] https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2024/05/24/retrouvez-toutes-les-sanctions-de-l-arcom-contre-c8-et-cnews_6223105_4355771.html et https://www.francetvinfo.fr/elections/legislatives/legislatives-2024-l-arcom-met-en-demeure-europe-1-pour-manque-de-mesure-et-d-honnetete-dans-l-emission-de-cyril-hanouna_6629991.html

[7] https://www.asso-sherpa.org/bollore-victoire-associations-huiledepalme-camerounaise

[8] https://www.farmlandgrab.org/post/31767-en-suisse-les-grands-fonds-de-pensions-publics-placent-bollore-sur-liste-noire

 [9] https://www.asso-sherpa.org/wp-content/uploads/2018/01/CP-poursuites-baillons_mis-en-page-PDF-24-janvier-2018.pdf