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Ghana: Der Fluch des Goldes

Galamsey, eine Wortschöpfung aus „gather them and sell“, wird in Ghana das unregulierte Goldschürfen genannt. Gegen die mit der Mechanisierung dieser Praxis einhergehende Umweltzerstörung richtet sich ein breiter werdender Widerstand von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Gewerkschaften. Denn das aus sozialer Not geborene wilde Goldschürfen hat in den letzten Jahren riesige Dimensionen angenommen, sodass laut dem wichtigsten Wasserversorger Ghana Water Company Ltd. mittlerweile zwei Drittel der Trinkwasser-geeigneten Gewässer Ghanas vergiftet sind und die Trinkwasserversorgung des ganzen Landes akut gefährdet ist. Denn beim Galamsey wird neben Zyanid und Arsen insbesondere Quecksilber zur Amalgamierung der meist winzigen Goldpartikel eingesetzt. Nach diesem Arbeitsgang wird das extrem giftige Schwermetall einfach in die natürliche Umwelt entsorgt. Folgen sind neben der Vergiftung der Gewässer und Böden Nierenprobleme, Atemwegs- und Stoffwechselerkrankungen.

Widerstand gegen wildes Goldschürfen
Im Vorfeld der ghanaischen Präsidentschaftswahlen vom 7. Dezember 2024 protestierte zuerst eine Gruppe von über 100 Umweltaktivist*innen sowie Künstler- und Musiker*innen drei Tage in Accra öffentlichkeitswirksam unter dem Motto “#StopGalamseyNow“ mit Straßenblockaden und brennenden Reifen gegen Galamsey und die Untätigkeit der Regierenden, von denen einige selbst vom daraus resultierenden „illegalen“ Goldhandel profitieren. Bei diesen vom 21. bis zum 23. September von der NGO „Democracy Hub“ ausgerufenen Aktionstagen wurden 54 Teilnehmende gewaltsam festgenommen und nach einem Gerichtsbeschluss zwei Wochen in Untersuchungshaft gehalten.
Das brutale Vorgehen der Polizei sorgte in den sog. sozialen Netzwerken für viel Empörung und machte den Protest gegen die Umweltzerstörungen landesweit und sogar international bekannt.
Von Donnerstag, dem 3., bis Samstag, den 5. Oktober gingen mehrere hundert bis über tausend Menschen, die meisten von ihnen Uni-Studierende, in Accra auf die Straße, um ein Ende von Galamsey, aber auch die Freilassung der knapp zwei Wochen zuvor Festgenommenen, zu fordern. Die Polizei hielt sich aufgrund der massiven Kritik an ihrem letztmaligen Vorgehen zurück.
Der ghanaische Gewerkschaftsdachverband drohte mit einem Generalstreik für den 10. Oktober, falls die Regierung bis dahin keine Maßnahmen gegen Galamsey beschließe.
Die etwa 2.700 Mitglieder der Gewerkschaft der Universitätslehrenden (UTAG) beschlossen einen unbefristeten Streik ab dem 10. Oktober.
Unterstützt wurden die ghanaischen Gewerkschaften in ihrem Streikvorhaben von der Regionalorganisation des Internationalen Gewerkschaftsbundes Afrikas (ITUC-Afrika). In seiner Deklaration vom 07. Oktober heißt es u.a.: „ Die ghanaischen Arbeiter*innen, sowohl im formellen wie auch im informellen Sektor, haben die Hauptlast der weitreichenden Folgen von Galamsey zu tragen.“
Mehrere hundert Personen nahmen am Freitag, dem 11. Oktober an einem von verschiedenen Kirchen Ghanas organisierten „Umweltgebetsspaziergang“ gegen Galamsey teil, bei dem eine Petition für ein Verbot des informellen Bergbaus an das Büro des Präsidenten übergeben wurde.
Dieser Marsch war eigentlich als Folgeaktion für den Tag nach dem Generalstreik der Gewerkschaften geplant, doch hatten diese den landesweiten Streik abgesagt, nachdem die Regierung ihnen Zusagen zur Eindämmung des „illegalen“ Kleinbergbaus gemacht hatte.
Inzwischen war Galamsey zu einem Wahlkampfthema geworden; die beiden Hauptkonkurrenten im Kampf um die Präsidentschaft sahen sich gezwungen, zu dem Problem Lösungsvorschläge zu machen.
Laut Umfragen dominierte insbesondere bei der großen Gruppe den Erstwähler*innen neben den Themen Arbeitslosigkeit und hohe Lebenshaltungskosten aufgrund einer immer noch hohen Inflationsrate von über 20% das Thema des unkontrollierten Goldbergbaus mit seinen zerstörerischen Folgen.
Am 29. Oktober beschlossen die Mitglieder der UTAG, ihren unbefristeten Streik zu beenden. Der Streik hatte im ganzen Land große Aufmerksamkeit erregt, weil UTAG-Aktivist*innen verschiedene Plattformen genutzt hatten, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und sich mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu vernetzen.
In der Folgezeit flauten die öffentlichen Proteste gegen Galamsey ab – vielleicht wollten viele abwarten, ob der am 7. Dezember neu gewählte Präsident aufgrund des erreichten politischen Drucks sinnvolle Maßnahmen einleiten würde.
Doch zunächst trat eher das Gegenteil ein: am 20. Januar 2025 schlug die Ghana Coalition Against Galamsey (GCAG), ein Netzwerk aus zehn größeren zivilgesellschaftlichen Gruppen, Alarm. Denn obwohl die neue Regierung Galamsay in ihre erste „120-Tage-Agenda“ aufgenommen hatte, hatten die unkontrollierten Bergbauaktivitäten seit den Wahlen sogar noch zugenommen.
Daher forderte die GCAG den neugewählten Präsidenten John Dramani Mahama zu drastischen Maßnahmen auf: Stopp aller „illegalen“ Bergbauaktivitäten, Entzug aller Konzessionen für Abbauflächen in der Nähe von Gewässern, Widerruf der Abbau-Genehmigungen für Gebiete mit bedeutender Biodiversität und Aufhebung der Verordnung L.I. 2462, mit der bestimmte Abbaupraktiken erlaubt worden waren, die besonders umweltzerstörerisch sind.

Der Goldboom
Ghana ist mit fast 96 Tonnen jährlich der größte Goldproduzent Afrikas und der sechstgrößte der Welt. Schon seit Jahrhunderten wird auf dem Gebiet des heutigen Ghana im handwerklichen Kleinbergbau Gold gefördert, weswegen es von den Kolonialmächten auch als „Goldküste“ bezeichnet wurde. Es hat Königreiche mächtig gemacht, war der Ursprung des transatlantischen Sklavenhandels und der kapitalistischen Plantagenwirtschaft und Industrialisierung Europas (vgl. Howard French: Afrika und die Entstehung er modernen Welt).
Heute werden 60 Prozent des ghanaischen Goldes von über zehn großen, nationalen und internationalen Minenkonzernen gefördert – in abgesicherten Arealen mit großem Gerät, Lizenzen und Zugang zu den globalen Finanzmärkten. In ihrer Selbstdarstellung wird dieser regulierte Goldabbau als unproblematisch für die Umwelt dargestellt. Doch die Bilder der riesigen Abbaugruben erinnern an die des rheinischen Braunkohletagebaus. Das bedeutet: großflächige Entwaldung, Verlust der Artenvielfalt, Wasserverschmutzung und Bodenerosion. Doch offenbar gibt es an dieser dominierenden Praxis des (groß-) industriellen Goldabbaus in Ghana keine wahrnehmbare Kritik. Der goldbasierte Extraktivismus wird nicht grundsätzlich infrage gestellt. Das mag neben den weniger katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt auch daran liegen, dass Gold mit einem Anteil von 30 Prozent das wertmäßig wichtigste Exportgut Ghanas ist und etwa 5 -7 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Die übrigen 40 Prozent geschürften Goldes stammen aus den kritisierten unregulierten Minen. Die Praxis des Galamsey, des unlizenzierte Goldschürfens, existiert schon seit Jahrzehnten: früher gruben junge arbeitslose Männer mit Hilfe von Schaufel und Spitzhacke – oder sogar nur mit bloßen Händen – nach Gold. Um das Edelmetall vom restlichen Gestein und Schlamm zu trennen, wuschen sie es per Hand oder mit Hilfe von Sieben.

Vor etwa 18 Jahren änderte sich Galamsey drastisch. Normalerweise kann nur mit einer staatlichen Lizenz für ein bestimmtes Areal Gold geschürft werden, doch die Vorgaben für den Lizenzerwerb und deren Überwachung waren von ghanaischen Regierungen liberalisiert worden, was auch zur Folge hatte, dass Galamsey einfacher wurde.
Infolge der globalen Finanzkrise von 2008 kam es zur Kapitalflucht in Edelmetalle und damit zu einem ersten Schub rasant steigenden Goldpreises. Insbesondere in China, dem Land mit dem größten Goldkonsum, stieg die die Nachfrage dramatisch.
Das lockte bis 2015 etwa 50.000 chinesische Einwanderer an, die neue Methoden und Maschinen mitbrachten, sodass der einstige handwerkliche Kleinstabbau mehr und mehr mechanisiert betrieben wurde. Dabei werden schwere Geräte wie Bagger, Bulldozer und motorbetriebene Pumpsysteme eingesetzt, Bäume entwurzelt und Unmengen an Erde abgetragen. Das Goldwaschen benötigt enorme Wassermengen, weswegen Galamsey meist in der Nähe von Gewässern stattfindet, die neben der Vergiftung durch abgeleitete Chemikalien dermaßen mit Schlammpartikel verunreinigt werden, dass selbst große Flüsse eine braungelbe Farbe an und die Filter der Wasserwerke überfordert sind. So gab das Wasserwerk der Bergbaustadt Tarkwa am 2. Januar bekannt, deswegen die Trinkwasserversorgung vorläufig einzustellen.
Inzwischen umfasst Galamsey laut der ghanaischen Forstkommission eine Fläche von über 4.700 Hektar, vorwiegend im Süden des Landes, und wird in 7 der 16 Regionen betrieben, 34 von 288 Waldreservate wurden bereits zerstört.

Eskaliert sind diese Entwicklungen aktuell, weil der Goldpreis allein in den letzten beiden Jahren um über 50 Prozent anstieg. Denn Anleger suchten angesichts niedriger Zinsen und den Auswirkungen des Ukraine-Krieges nach Sicherheit und Rendite. Ein Kilogramm Gold kostet auf dem Weltmarkt inzwischen über 80.000 Euro. Gesteuert wird der bereits seit 2017 einsetzende und von einigen Beobachtenden als „Goldrausch“ bezeichnete Galamsey-Boom von außerstaatlichen kriminellen und hierarchisch strukturierten Netzwerken, bei denen es nur einige wenige Großverdienende gibt und an denen auch korrupte Politiker*innen beteiligt sind. Das billig geförderte Metall landet auf klandestinen Wegen in Raffinerien in Dubai oder auch der Schweiz, wo es zu Goldbarren eingeschmolzen und mit dem international anerkannten Gütesiegel versehen wird.

Armut als Ursache
Es wird geschätzt, dass rund eine Million Minenarbeiter*innen und weitere 4,5 Millionen Menschen (Familienangehörige, kleine Gewerbetreibenden etc.) von der unregulierten Goldgewinnung leben. Zum Vergleich: in den großen „legalen“ Bergwerken sind nur etwa 10.000 beschäftigt. Da es zu wenig andere Verdienstmöglichkeiten gibt und gleichzeitig die Inflationsrate sehr hoch ist, beinhaltet das Goldschürfen für viele Ghanaer*innen die Hoffnung auf ein Entkommen aus der sozialen Misere.
Denn Ghana befindet sich seit 2022 in einer sozio-ökonomischen Krise. Ursachen sind eine hohe Staatsverschuldung, die die Regierung zwingt, Auflagen von IWF und Weltbank zu akzeptieren, eine Inflationsrate von über 50 Prozent in 2022 und aktuell immer noch 23 Prozent, sowie externe Schocks wie Corona und Ukrainekrieg. Die Lebenshaltungskosten sind hoch und gut bezahlte Arbeitsstellen rar. Im Kakaoanbau – der zweitgrößten Exportbranche Ghanas – wechseln wegen der niedrigen Löhne bzw. Gewinnerträge immer mehr Beschäftigte ins Galamsey-Gewerbe. „Während der Job als Helfer auf einem Kakaofeld mit 100 ghanaischen Cedi vergütet wird (etwa 6,50 Euro), können im illegalen Goldabbau um, die 600 Cedi (etwa 40 Euro) am Tag verdient werden.“ (taz, 04.02.2025)

Für ihren Überlebenskampf müssen die Goldschürfer*innen in Kauf nehmen, dass ihre Tätigkeit in den Minen extrem gesundheitsgefährdend und potenziell lebensgefährlich ist. Die Chemikalien , die die Minenarbeiter*innen verwenden, verursachen Atemwegs- und Nierenerkrankungen, Hautausschläge, Durchfall und längerfristig auch Krebs.

„Krieg“ gegen den illegalen Bergbau
Die am 7. Dezember 2024 neu gewählte Regierung Ghanas unter dem Präsident John Dramani Mahama hat nun den „Krieg“ gegen den illegalen Bergbau ausgerufen.
In seiner Rede zur Lage der Nation am 27. Februar 2025 kündigte er u.a. eine „robuste und unparteiische Strafverfolgung“, die „Schaffung von Programmen für alternative Lebensgrundlagen“, die Neuorganisationen und Regulierung des gesamten Gold-Kleinbergbaus, das Verbot des Goldschürfens in Naturschutzgebieten und ein Aufforstungsprogramm zur Bekämpfung der negativen Folgen von Galamsey an.
Ob diese Ankündigungen – insbesondere die Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten – , die es ähnlich schon von früheren Regierungen gab, tatsächlich umgesetzt werden, und sich am Ende nicht doch nur als repressive Gewalt gegen die in den Minen arbeitenden Armen entpuppen, wird hoffentlich von den zivilgesellschaftlichen Gruppen und den Gewerkschaften, die die Galamsey-Problematik auf die politische Tagesordnung gesetzt haben, kritisch verfolgt und ebenso bekämpft werden.
Eine wirkliche Lösung der mit dem Goldbergbau verbundenen gesellschaftlichen Probleme wäre jedoch nur eine radikale Infragestellung des Extraktivismus und der Entwicklung anderer Perspektiven, als die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören und dabei sein Leben zu gefährden.

Quellen: Zeit, 08.01.2025; Perspektive Online, 02.12.2024; ghenvironment.com. 27.02.2025; NZZ, 10.12.2024 u.v.m.