Seit Anfang Juni 2025 erlebt Togo eine neue Protestwelle, vor allem von der jungen Generation getragen. Sie ist in einem autoritären System unter dem Gnassingbé-Clan ohne reale Mitbestimmung aufgewachsen, geplagt von hoher Arbeitslosigkeit, steigenden Lebenshaltungskosten und fehlenden Perspektiven.
von Christian Lenz und Rababe Sabi
Für die meisten jungen Menschen in Togo bedeutet Erwachsenwerden, in einer Sackgasse zu landen. Zwar erreichen immer mehr Jugendliche einen weiterführenden Schulabschluss oder absolvieren sogar ein Studium. Doch Jobs mit der Perspektive, die Familie zu ernähren – eine Verantwortung, die in der Regel den älteren Geschwistern zufällt – sind rar und meist nur über Beziehungen zu erreichen. Prostitution, bis vor wenigen Jahren noch ein Tabuthema, ist heute unter jungen Frauen gezwungenermaßen weit verbreitet und wird auf Plattformen wie TikTok thematisiert. Auch Migration bietet kaum noch Auswege. Anstatt Europa zu erreichen, stranden viele Migrant*innen im Wüstenstaat Niger. Nicht wenige kehren »freiwillig« in ihre Herkunftsländer zurück – traumatisiert und gescheitert. Legale Arbeitsmigration ist nur einer kleinen Minderheit vorbehalten.
Vor diesem Hintergrund gingen am 6. Juni in der Hauptstadt Lomé tausende junge Menschen auf die Straße. Mit Hupkonzerten, klappernden Topfdeckeln und Parolen wie »Befreit Togo!« oder »Uns reicht’s!« machten sie ihrem Frust Luft. Die Sicherheitskräfte reagierten brutal, setzten Tränengas ein, jagten die Jugendlichen durch die Straßen und riegelten das Präsidialviertel ab. Dutzende wurden festgenommen, die meisten jedoch nach wenigen Tagen wieder freigelassen.
Unmittelbarer Auslöser der Proteste war die Verhaftung des Rappers Aamron. In satirischen Videos hatte er die Regierung kritisiert und dazu aufgerufen, den 59. Geburtstag von Präsident Faure Gnassingbé am 6. Juni »gebührend zu feiern«. Nach seiner Festnahme blieb Aamron zunächst verschwunden, tauchte jedoch in einem bizarren Video wieder auf: Sichtbar unter Druck und offenbar in eine Klinik zwangseingewiesen, erklärte er, er befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Nach breiter Empörung und anhaltendem Druck kam Aamron schließlich am 21. Juni frei. Er habe bewusst in Kauf genommen, sich als »Märtyrer« zu opfern, erklärte der Rapper, damit zukünftige Generationen den Mut fänden, aufzustehen.
Politische Krise und soziale Härten
Die Eskalation fällt in eine Phase erhöhter politischer Spannungen. Im März 2024 beschloss das dem Präsidenten hörige Parlament in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine neue Verfassung. Diese erlaubt es Faure Gnassingbé, unbegrenzt an der Macht zu bleiben. Denn durch das neu geschaffene Amt des Ministerratsvorsitzenden kann die in der Verfassung von 1992 vorgesehene Begrenzung auf zwei Amtszeiten umgangen werden. Die Opposition sprach von einem »Verfassungsputsch«. Über ein Jahr später wurde dieser Umbau des Staates zur sogenannten 5. Republik nun offiziell vollzogen. Nach fast sechs Jahrzehnten hält sich der Gnassingbé-Clan weiterhin an der Macht (izindaba 27.07.2023 und iz3w 396).
Scharfe Kritik kam überraschend aus den eigenen Reihen. Marguerite Gnakadé, ehemalige Verteidigungsministerin und selbst Mitglied der Präsidentenfamilie, forderte Präsident Gnassingbé anlässlich seiner Vereidigung als Ministerratsvorsitzender am 3. Mai öffentlich zum Rücktritt auf. Sie warf ihm Versagen bei der Lösung sozialer Probleme, die Unterdrückung oppositioneller Stimmen und die Veruntreuung öffentlicher Gelder vor. Empörung löste auch eine Erhöhung der Strompreise durch das staatliche Elektrizitätswerk CEET aus. Auf Drängen des Internationalen Währungsfonds hatte die Regierung die Preise um ganze 12,5 Prozent angehoben, woraufhin sich auch Grundnahrungsmittel wie Mehl verteuerten.
Neue Protestformen
Nach den Protesten am 6. Juni riefen Aktivist*innen über soziale Medien für den 26. Juni zu weiteren Demonstrationen auf, diesmal auch unterstützt von Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen. In Lomé herrschte an diesem Tag eine gespenstische Atmosphäre: Aus Angst vor eskalierender politischer Gewalt blieben Geschäfte geschlossen und die Straßen leer. Denn seit 2022 sind Massenkundgebungen verboten und werden in der Regel sofort aufgelöst. Dementsprechend griffen die Demonstrierenden zu dezentralen Aktionsformen. Kleine Gruppen errichteten Barrikaden aus Steinen oder brennenden Reifen, blockierten Straßen oder zeigten symbolische Protestgesten, bis die Sicherheitskräfte einschritten.
Vor allem in proletarisch geprägten Vierteln der Hauptstadt kam es zu heftigen Konfrontationen. Das Regime setzte Milizen in Zivil ein, die Demonstrierende bis in ihre Wohnhäuser verfolgten, misshandelten oder verschleppten. Menschenrechtsgruppen berichten von mindestens sieben Toten, dutzenden Verletzten und über 60 Festnahmen. In einem Schnellverfahren wurden 18 Personen zu einem Jahr Haft verurteilt, elf davon auf Bewährung. Seither dauert die Verfolgung an: Immer wieder werden Menschen festgenommen, die das Regime öffentlich kritisieren. Bis heute befinden sich 46 Personen im Zusammenhang mit den aktuellen Protesten in Haft.
Social Media als Versammlungsort
Eine zentrale Rolle bei den Protesten der jungen Generation in Togo spielt die Diaspora, die über soziale Medien mobilisiert. Mit Bezug auf den 6. Juni, den Beginn der Proteste, gründeten zuvor eher unpolitische Influencer*innen im Ausland die Gruppe M66 (»Bewegung des 6. Juni«), die vor Ort in Togo breite Rezeption und Unterstützung erfährt. Die sozialen Medien ersetzen die blockierten öffentlichen Räume und dienen als virtuelle Versammlungsorte: Hier rufen Aktivist*innen zu Aktionen auf, dokumentieren Repression und verbreiten Solidaritätsbotschaften. Das Regime ließ dies nicht unbeantwortet und reagierte mit Einschränkungen des Internetzugangs. Seit Ende Juni sind bestimmte Plattformen nur noch eingeschränkt nutzbar.
Was die Protestierenden eint, ist weniger eine formale Organisation als vielmehr ein gemeinsames Gefühl der Perspektivlosigkeit – der zentrale Antrieb für die Gen Z, auf die Straße zu gehen. Ihre Protestformen – dezentral und medial stark präsent – sind Ausdruck eines neuen kollektiven Selbstbewusstseins. Anders als frühere Bewegungen, die von oppositionellen Parteien ausgingen, werden die aktuellen Proteste von einer jungen Generation getragen, die autonom agiert und sich bewusst von etablierten parteipolitischen Strukturen abgrenzt.
Dass internationale Medien kritisch berichten und togoische Influencer*innen und Künstler*innen in Europa, Kanada und den USA die Proteste maßgeblich unterstützen, ist der Regierung ein Dorn im Auge. Am 16. Juni wurden die französischen Nachrichtensender France 24 und RFI unter dem Vorwand verboten, Falschinformationen zu verbreiten. Anfang September stellte der für Menschenrechte zuständige Minister Togos bei den französischen Behörden Auslieferungsanträge für mehrere in Frankreich lebende Aktivist*innen. Doch die französische Regierung lehnte es auch dieses Mal ab, Personen aus politischen Gründen auszuliefern. Schließlich wurde Mitte September die oben erwähnte Kritikerin Marguerite Gnakadé wegen des Vorwurfs der Anstiftung der Armee zur Revolte und der Gefährdung der nationalen Sicherheit verhaftet, sie befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Schwindende internationale Unterstützung
Das harte Vorgehen gegen selbst kleinste Regimekritik zeigt, wie nervös die Machthaber geworden sind. Gleichzeitig schwindet ihre internationale Rückendeckung. So verlängerte die deutsche Bundesregierung Ende 2024 die »Reformpartnerschaft« mit Togo nicht, die eine bevorzugte finanzielle Förderung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sicherte. Am 12. September 2025 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution zur Freilassung des seit 2018 inhaftierten irisch-togoischen Aktivisten Abdoul Aziz Goma, der sich im Hungerstreik befindet.
Ob der interne und externe Druck ausreicht, das Regime zu spalten und zu schwächen, bleibt offen. Doch die Gen Z hat deutlich gemacht, dass sie sich ihre Zukunft nicht länger nehmen lassen will. Mit ihrem Mut, ihrer Kreativität und ihrer Verankerung in sozialen Netzwerken eröffnet sie neue Räume für Widerstand – trotz massiver Repression. Ihre Revolte ist politischer Protest und existenzieller Aufschrei zugleich. Sie fordert nicht weniger als das Ende einer 58 Jahre währenden Herrschaft, die das Land in Geiselhaft hält. Und sie signalisiert: Die Zukunft Togos gehört einer jungen Generation, die nicht bereit ist, im Schweigen zu verharren.
Christian Lenz und Rababe Sabi sind im Netzwerk Afrique-Europe-Interact aktiv.
Der Artikel erschien erstmals in der iz3w 411 (Nov./Dez. 2025) im Dossier „Generation Z in Aufruhr“: https://www.iz3w.org/dossier/generation-z-protest-aufruhr-revolte.
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