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Kenia: Polizei erschießt Demonstrierende bei Protesten gegen Steuererhöhungen

Die kenianische Polizei hat am Mittwoch 19. Juli inmitten von Proteste gegen steigenden Lebenshaltungskosten an verschiedenen Orten des Landes das Feuer eröffnet. Laut Washington Post wurden mindestens zwei Menschen erschossen und 26 weitere verwundet, der Guardian meldete gar sechs Todesopfer.

Drei Tage sollten die Aktionen dauern. Der Startschuss sollte am Mittwoch zur Mittagszeit an verschiedenen Plätzen in Nairobi und anderen Städten eingeleitet werden, doch diese wurden bereits im Vorfeld von Polizeieinheiten abgeriegelt, um Menschenansammlungen zu verhindern.

Die ersten Steine flogen am Vormittag im berühmten Kibera-Slum in Nairobi, der als größtes Armenviertel Afrikas gilt. Hier lieferten sich Jugendliche Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Geschäfte und Schulen wurden geschlossen, als die Polizei Tränengas und Wasserwerfer einsetzte, um die Demonstrierenden zu vertreiben. Auch aus mehreren anderen Landesteilen wurden Demonstrationen gemeldet, darunter aus den westlichen Bezirken Migori und Kisii, wo die Opposition große Unterstützung genießt..

Die Opposition hatte zu dreitägigen landesweiten Protesten aufgerufen, um den Präsidenten zur Aufhebung eines Finanzgesetzes zu zwingen, das neue Steuern vorsieht. Präsident Ruto hatte geschworen, dass es keine Proteste geben werde, und sagte, er werde sich mit Oppositionsführer Raila Odinga „frontal“ auseinandersetzen.

In der westlichen Stadt Kisumu, einer Odinga-Hochburg, bestätigte das Odinga-Krankenhauses zwei Todesfälle: „Wir haben zwei Leichen mit Schusswunden in der Leichenhalle, und 14 weitere Personen sind mit Schusswunden eingeliefert worden“, sagte der Geschäftsführer des Krankenhauses, George Rae.

Im Mathare-Viertel in Kenias Hauptstadt Nairobi wurde einem Mann in die Schulter und zwei weiteren in die Beine geschossen. Vier weitere Demonstrierende wurden dort verletzt.

In Nairobis Stadtteil Kangemi wurden zwei junge Männer und in der Stadt Nakuru wurden weitere fünf Personen mit Schusswunden in Kliniken eingeliefert.

Kevin Omondi, ein Fahrer aus dem Soweto-Viertel von Kibera, einem Armenviertel in der Hauptstadt Nairobi, kämpfte mit den Tränen, als die Polizei Tränengaskanister auf sein Grundstück schleuderte. „Dies ist das erste Mal, dass wir sehen, dass die Polizei tief in Kibera eindringt. Wir haben keinen Platz, um unsere Kinder zu verstecken. Wir flehen die Polizei an, aber sie hört nicht auf uns“, sagte er dem Guardian.

Die Polizei hatte erklärt, die Proteste seien illegal, da keine Genehmigung dafür erteilt worden sei, doch das Recht auf friedliche Proteste ist in der kenianischen Verfassung verankert.

Bei ähnlichen Protesten in der vergangenen Woche wurden nach Angaben von Beobachter*innen mindestens 10 Menschen getötet. Ein Polizeibeamter bestätigte gegenüber der AP mindestens sechs Todesfälle. Viele andere wurden verletzt, darunter 53 Kinder, die einen Schock erlitten, nachdem Tränengas in ihrem Schulgebäude eingesetzt worden war.

Am Donnerstagmorgen kam es in Nairobi in den informellen Siedlungen Kibera und Mathare sowie in Kisumu zu weiteren Zusammenstößen. Die Demonstrierende bewarfen die Polizei mit Steinen. Die Polizei verhinderte durch Straßensperren, dass Demonstrierende zum Stadtzentrum gelangten.

„Sufuria Movement“ heißt die Protestbewegung. „Sufuria“ bedeutet in der lokalen Sprache Swahili „Topf“ oder „Pfanne“ und steht symbolisch für das Essen, das in jedem kenianischen Haushalt immer teurer wird. Die Regierung hat Ende Juni das neue Budget für das im Juli beginnende Haushaltsjahr veröffentlicht. Darin hat die Regierung die Mehrwertsteuern auf Benzin und Diesel von acht auf 16 Prozent verdoppelt, und so die Kraftstoffpreise auf den höchsten Stand gebracht. Daraus folgt, dass die Lebenshaltungskosten weiter steigen werden, da fast alle Produkte in Kenia mit Lastwagen transportiert werden müssen. Die Steuererhöhungen sind in Kraft getreten, obwohl ein Gericht die Einführung der umstrittenen neuen Steuern ausgesetzt hat.

Verglichen mit anderen Staaten Afrikas ist die Inflation in Kenia moderat, im Juni lag sie bei knapp acht Prozent. Doch die Preise vor allem für Lebensmittel steigen nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. Wie das gesamte Horn von Afrika leidet Kenia unter einer historischen Dürre, die zu Missernten führt und viele Kühe und Ziegen verdursten lässt. Menschen mit kleinem Einkommen haben Schwierigkeiten, ihre Familien zu ernähren. Es sind jene Leute, die auch Ruto vor seiner Wahl umworben hatte. Nun kündigen ihm viele die Gefolgschaft. Sollten nun erneut die Getreidelieferungen aus der Ukraine ausbleiben, droht sich die Lage weiter zu verschärfen

Wycliffe Onyango aus Nairobi, sagte, dass er sein gesamtes Einkommen für Lebensmittel ausgibt. „Im Moment gibt es keine Arbeit mehr. Wir leiden“, sagte er.

Der Internationale Währungsfonds bezeichnete die Verabschiedung des Gesetzes in dieser Woche als einen „entscheidenden“ Schritt zur Verringerung der kenianischen Schuldenlast.

Nach Angaben des Innenministeriums wurden während der Proteste mehr als 300 Personen festgenommen, die unter anderem wegen Plünderung, Zerstörung von Eigentum und Angriff auf die Polizei angeklagt werden. Die Behörden äußerten sich nicht zu den Toten und Verwundeten und gingen auch nicht auf die Behauptungen von Zeugen ein, wonach Polizeibeamte zeitweise in Häuser geschossen hätten.

Bereits in der Vorwoche kam es zu Plünderungen von Läden und Warendepots. Die Polizei rückte mit Gummigeschossen und Tränengas an, um die Demonstrationen zu stoppen. Laut Angaben des Menschenrechtsbüros der Vereinten Nationen waren bei den Protestaktionen in der Vorwoche bereits 23 Menschen in Folge von Polizeigewalt ums Leben gekommen.

taz 14. 7. 2023 und 20.7.2023

https://www.washingtonpost.com 19. Juli 2023

Süddeutsche Zeitung 19. Juli 2023

The Guardian 21 Jul 2023