Seit der Ermordung des 31-jährigen Bloggers Albert Ojwang am 08. Juni auf einer Polizeiwache in Nairobi gingen in ganz Kenia immer wieder tausende Menschen auf die Strassen, um gegen oft tödliche Polizeigewalt zu demonstrieren. Auch bei den letzten großen Protesten am 25. Juni, die zugleich an den Aufstand der Generation Z vor einem Jahr erinnerten, kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und den Sicherheitskräften. Die Protestierenden riefen ‚Ruto muss gehen‘ und trugen kenianische Nationalflaggen mit Bildern von Opfern staatlicher Repression. In der westlich von Nairobi gelegenen Stadt Kikuyu wurden Teile des Gerichtsgebäudes in Brand gesetzt.
Die Sicherheitskräfte reagierten auf die Proteste wie gewohnt . In der Hauptstadt Nairobi sperrten sie große Straßen Kilometer vor dem zentralen Geschäftsviertel ab, der Zugang zu wichtigen Gebäuden wie dem Parlament und der offiziellen Residenz des Präsidenten Ruto waren mit Stacheldraht gesichert. Am frühen Nachmittag erließ die staatliche Medienaufsicht für alle Fernseh- und Radiosender das Verbot, live von den Protesten zu berichten. Der Zugang zu den digitalen Medien blieb ebenfalls gestört. Nach Angaben einer von Amnesty International veröffentlichten Stellungnahme wurden an diesem Tag mindestens 16 Menschen getötet und insgesamt um die vierhundert verletzt. Die Polizei gab die Festnahme von 485 Personen bekannt.
Die selbst von der ‚Unabhängigen Polizeiaufsichtsbehörde‘ (IPOA) nicht mehr zu leugnende Ermordung von Albert Ojwang durch Polizeikräfte hat ein Schlaglicht auf den Umgang der Sicherheitskräfte mit der Opposition im Land geworfen. Der Lehrer und Blogger hatte online auf der Plattform X den stellvertretenden Generalinspekteur der Polizei Eliud Kipkoech Lagat der Korruption bezichtigt und war deshalb am 6. Juni im Bezirk Homa Bay festgenommen worden. Anschließend transportierten ihn die Polizisten zur zentralen Polizeistation in die 350 Kilometer entfernte Hauptstadt. Zwei Tage später lieferten sie seinen leblosen Körper, der Kopf- und Weichteilverletzungen sowie eine Halsquetschung aufwies, in einem nahe gelegenen Krankenhaus ab. Seinen Zustand begründeten sie mit Verletzungen, die sich Ojwang auf der Polizeiwache in Selbstmordabsicht angeblich selbst zugefügt habe. Aufgrund der von den aufnehmenden Ärzten geäußerten Zweifel an der Darstellung der Polizei wurde am 10. Juni eine Autopsie der Leiche durchgeführt. Diese wies neben anderen Misshandlungen von außen geführte Schläge auf den Kopf nach, die letztlich zum Tod des Bloggers führten.
Mittlerweile wurden die fünf beteiligten Polizisten vom Dienst suspendiert. Der stellvertretende Generalinspekteur Lagat gab in internen Ermittlungen zu, seine Beamten mit Alkohol für die tödlichen Prügel bezahlt zu haben. Er trat von seinem Posten zurück, während Ruto sich persönlich bei der Familie des Opfers entschuldigte.
Ein Jahr nach der Niederschlagung der Proteste gegen die Steuererhöhungen rückt der ‚Fall Ojwang‘ die grenzenlose Gewalt der Sicherheitsorgane wieder in den Vordergrund. Auf Demonstrationen wird ‚scharf‘ geschossen. Entsprechend hoch ist die Zahl der jeweiligen Todesopfer. Zudem wurden seitdem zahlreiche Oppositonelle entführt oder sind spurlos verschwunden.
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